Was uns künftig bewegt
complete Magazin 2024
Schmalere Fahrbahnen und neue Mobilitätsräume für Car-Sharing, Mobility-Hubs und Fahrzeuge für die letzte Meile. Die Zukunft des Verkehrs hat viele Formen.
„Road Diet“ – nein, das ist kein Picknick auf der Straße. Sondern eine Schlankheitskur für Fahrspuren. Aus Straßen und Parkplätzen werden neue Räume für Mobilität, Radwege und Gehsteige wie aktuell die Argentinierstraße im vierten Wiener Bezirk oder die Praterstraße im zweiten. Die Schlankheitskur für Autospuren dient Zufußgehenden, Fahrradfahrenden und den Passagieren in öffentlichen Verkehrsmitteln.
Schlankere Fahrbahnen führen zur Gleichbehandlung aller Verkehrsteilnehmenden auf den verfügbaren Flächen. Ein Rückbau der autozentrierten Stadt erhöht die Lebensqualität für alle, macht Ballungsräume attraktiver und gesünder.
Von Autostraßen zu Mobilitätsräumen
Das Wachstum der Städte weltweit stellt die Verkehrsplanung vor große Herausforderungen. Der Stadtgeograf Stefan Carsten sagt: „So wie heute wird die Mobilität in 15 Jahren nicht mehr aussehen.“ Carsten sitzt im Beirat des Deutschen Verkehrsministeriums und gibt dessen jährlichen Mobilitätsreport mit heraus.
„Wir müssen vom Denken der Autostraßen wegkommen – hin zu Mobilitätsräumen.“ An Beispielen wie Kopenhagen oder Paris erklärt er die positiven Effekte, wenn Autos zumindest aus den Zentren verbannt werden. „Jede Investition in den Fahrradverkehr bringt der Gesellschaft Geld, weil die Gesundheitskosten dramatisch reduziert werden.“
Neue Verhaltensmuster
Seit den 1970er-Jahren erarbeitet die Verkehrswissenschaft neue Lösungsansätze. Dabei ist die Raumnutzung von Verkehrsmitteln zentral. Die Zahl der Menschen nimmt zu. Um ihre Bedürfnisse gleichermaßen erfüllen zu können, ist mehr Verkehr nötig. Daher müssen Wege optimiert zurückgelegt werden können. Dies ermöglichen „kurze Wege“ und ein Verkehr mit geringem Bedarf an Ressourcen wie Raum und Energie. Nachhaltige Mobilität verlangt auch nach neuen Verhaltensmustern. Um sie zu erreichen, ist eine Vielzahl an Maßnahmen nötig. So will die Stadt Wien bis 2025 erreichen, dass nur noch jeder fünfte Weg mit dem Auto zurückgelegt wird – aktuell ist es jeder vierte.
Ausbau der Infrastruktur
Alle sollen durch umweltfreundliche Verkehrsmittel weiterkommen. Dies erfordert den Ausbau der Infrastruktur für öffentlichen Verkehr, Radfahren und Zufußgehen. Hinzu kommen „Mobilitätsstationen“. An gut erreichbaren Orten, den „Mobility Points“, findet man verschiedene Verkehrsangebote: Elektro-Mietwagen, Leihräder und andere Transportmittel zu günstigen Tarifen. Hier kann man sich für jenes Verkehrsmittel entscheiden, das den aktuellen Bedürfnissen entspricht. Im unmittelbaren Umfeld von Bahnhöfen und U-Bahn-Stationen entstehen „Mobility Hubs“, Mobilitätsstationen für Pendler:innen und Vielfahrer:innen als rentable Alternative zum Auto. Neben Wien bieten auch Graz oder Salzburg solche Möglichkeiten. Daraus wird sich ein völlig neues Mobilitätsverhalten entwickeln.
Die letzte Meile
Was aber bringt uns auf der „letzten Meile“ zwischen Haltestelle und der eigenen Haustür weiter? In ländlichen Gemeinden könnten Rufbusse oder Fahrtendienste zum Einsatz kommen. In der Wiener Seestadt wurden zwei Jahre lang autonom fahrende und mit Sensoren ausgestattete E-Busse getestet. Das Ergebnis konnte bislang nicht überzeugen.
Hohes Ziel: Klimaneutralität
Um die Erreichung der Klimaneutralität zu gewährleisten, hat sich die österreichische Bundesregierung zum Ziel gesetzt, ab 2030 ausschließlich emissionsfreie Pkw für den Straßenverkehr zuzulassen. E-Mobilität löst jedoch kein Verkehrsproblem. Die Fahrzeuge bleiben die meiste Zeit des Tages „Stehzeuge“ mit hohem Platzverbrauch.
Wiens Verkehrsflächen sind zu zwei Drittel dem Autoverkehr gewidmet, ein Drittel bleibt für Fußgänger:innen, Radfahrer:innen oder „Öffis“. Hier wird eine Umverteilung erforderlich sein, sind doch auch Grünräume nötig, um einer Überhitzung der Stadt vorzubeugen. Die Schlankheitskur für Fahrbahnen ermöglicht auch mehr Grün im Ballungsraum.
Mobilität im Wandel
Wie ein Wandel des Mobilitätsverhaltens aussehen kann, zeigt das Beispiel der Vorarlberger Gemeinde Göfis. Um das Dorfzentrum wiederzubeleben, wurde der Parkplatz vor dem Gemeindeamt von Autos befreit und umgestaltet. Daneben liegt eine zentrale Bushaltestelle, es gibt eine E-Bike-Ladestation und ein Carsharing-Angebot. Wo zuvor Pkw aneinandergereiht standen, finden jetzt Veranstaltungen und Feste statt.
Kompromisse und Schlankheitskuren
Wie aber können dünn besiedelte Gebiete erschlossen werden, wo ein Linienverkehr nicht funktioniert? Das Land Steiermark fördert eine Mikro-ÖV-Strategie auf kommunaler Ebene mit Anrufsammeltaxi-, Carsharing- oder Kleinlinien-Angebot.
Doch Nutzergruppen haben unterschiedliche Ansprüche in Bezug auf ihre Mobilität und machen diese auch geltend. Gut zu beobachten an Straßenblockaden, bei denen Umweltschützer:innen auf verständnislose Autofahrende treffen. Um die Bedürfnisse von Kindern, Berufspendelnden, Pensionist:innen und mobilitätseingeschränkten Personen gerecht zu werden, werden Kompromisse und Schlankheitskuren notwendig sein. Nur so ist eine nachhaltige Mobilität zu erreichen.
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Bild: Der Hauptbahnhof Graz wurde vom Künstler Peter Kogler gestaltet