Die Wissenschaft des Glücks
complete Magazin 2024
Wie man Freude messen kann und was Dankbarkeit im Gehirn auslöst – mit solchen Fragen setzt sich die Positive Psychologie auseinander. Der positive Ansatz hat eine wissenschaftliche Trendwende ausgelöst.
Selbstfindungstrainings, Meditiationsretreats, Achtsamkeitsübungen – die Suche nach innerer Zufriedenheit liegt im Trend. Auch die Wissenschaft beschäftigt sich zunehmend mit den Voraussetzungen für Freude und Glück. Wie kann man solche Gefühle wissenschaftlich messen? Und was kann man tun, um mehr davon im Leben zu haben?
Psychologie – Die Wissenschaft des Schlechten?
Das zwanzigste Jahrhundert war in Europa nicht gerade eine freudvolle Phase. Politisch war es von Kriegen geprägt, in der Psychologie war Sigmund Freuds triebgesteuertes Menschenbild einflussreich. Kein Wunder, dass Psycholog:innen ihr Augenmerk auf Traumata und die Behandlung von psychischen Krankheiten legten. Dieser Fokus auf Defizite ist messbar: Zwischen 1887 und 2000 wurden zwanzig Mal so viele wissenschaftliche Papers zum Thema Depression wie zum Thema Glück veröffentlicht. Zu negativen Emotionen wurde etwa vierzehn Mal so viel geforscht wie zu positiven.
Die Entstehung der Positiven Psychologie
Das sollte sich ändern, verkündete Martin Seligman 1998. In diesem Jahr trat er die Stelle als Präsident der American Psychological Association (APA) an. Er wollte sein Fach revolutionieren. In seiner Antrittsrede sprach er von Prävention statt rückwirkender Reparatur und einem Fokus auf Stärke und Tugend statt auf Schwäche und Schaden.
Auch wenn von einer „Revolution“ nicht die Rede sein kann, zeigt sich seit Beginn des 21. Jahrhunderts ein Trendwechsel: Es gibt heute mehr aktive Forschung zu positiven Affekten als noch vor einigen Jahrzehnten. Positive Psychologie ist unter anderem für Persönlichkeitspsychologie, Emotionspsychologie und Neurobiologie wichtig, aber auch im Gesundheits- und Bildungsbereich.
Glück im Gehirn
In der Hirnforschung ist mittlerweile belegt, dass unser Gehirn aus negativen Erfahrungen ein Wachstum ermöglichen möchte. Das erklärt Bertram Strolz, Pädagoge und Therapeut an der österreichischen Akademie für Positive Psychologie „Die Tendenz, sich zu entwickeln, zu lernen und zu wachsen, liegt in unserer menschlichen Natur. Damit sind die Grundprinzipien der Positiven Psychologie auf neuronaler Ebene bestätigt.“ Die Disziplin hat maßgeblich dazu beigetragen, Entstehungsgrundlagen für positive Emotionen messbar zu machen. Es wird mit Gehirnscans und neurobiologischen Untersuchungen gearbeitet, außerdem kommen Fragebögen, Self-Reports und Außenbeobachtungen zum Einsatz.
Dankbarkeit und Erfolg machen gesund
Die Erkenntnisse können auch im Alltag helfen. Strolz nennt Beispiele: „Sich an vergangene Erfolge zu erinnern und sich eigene Stärken bewusst zu machen, führt zu einer erhöhten Ausschüttung von Dopamin.“ Mehr Dopamin im Körper führt wiederum zu mehr Wohlbefinden – nicht umsonst heißt es „Glückshormon“. Ebenso gesund ist ein Gefühl von Solidarität: „Wenn wir uns an eine Situation erinnern, die wir gemeinsam mit anderen gemeistert haben, kommt es zu einer erhöhten Bildung von Oxytocin, dem sogenannten Bindungshormon.“ Gemeinsam initiieren diese Stoffe ein Gefühl der Zuversicht. Auch Dankbarkeit spiele eine wichtige Rolle: „Laut neuropsychologischen Erkenntnissen weiten sich unsere Blutgefäße, wenn wir Dankbarkeit empfinden.“ Die Serotoninlevel steigen, der Blutdruck wird gesenkt und die Ausschüttung von Cortisol, dem „Stresshormon“, gehemmt. In anderen Worten: Dankbarkeit kann als Mittel gegen Stress und Bluthochdruck eingesetzt werden.
Kleine Übungen mit großer Wirkung
Wie kann man diese chemischen Prozesse in Gang setzen? Mit einfachen Übungen, erklärt Strolz. Der Klassiker: Man stellt sich direkt nach dem Aufwachen die Frage, auf was man sich freut. Und vor dem Schlafengehen erinnert man sich an drei Sachen, die gut gelaufen sind. „Solchen Techniken begegnen meine Klient:innen zuerst oft mit Skepsis,“ sagt der Therapeut. „Aber die positiven Effekte nehmen sie dann trotzdem wahr. Durch regelmäßige Wiederholung führen sie zu Zuversicht, Selbstbewusstsein und Wohlbefinden – also zu mehr Glück im Leben.“
Unser Glück schmieden
Was ist „Glück“ eigentlich? Menschen streben nach hedonistischer Freude, zum Beispiel nach materiellen Gütern oder beruflichem Erfolg. Mindestens genauso wichtig sei aber ein Sinngefühl, sagt Strolz. „Zu etwas Positivem beizutragen, das außerhalb von uns selbst liegt, ist ein wichtiger Bestandteil von Glück.“ Hier spielen etwa Familie und Freundeskreis eine Rolle, aber auch soziales oder politisches Engagement.
Gerade diese Art des Glücks werde nach einer Krise oft stärker empfunden. „Viel häufiger als posttraumatische Belastungsstörungen sehen wir posttraumatisches Wachstum. Menschen berichten, dass sie Beziehungen mehr zu schätzen wissen oder intensiver leben.“
Hier zeigt sich ein Grundgedanke der Positiven Psychologie: Niemand kann durchgehend fröhlich sein. Wir würden uns nicht entwickeln. Wichtig ist, über negative Ereignisse und Ängste sprechen zu können. Und zu lernen, dass man selbst beeinflussen kann, wie schnell man aus düsteren Phasen wieder herausfindet. Wir sind nicht alleine unseres Glückes Schmiede und Schmiedinnen, lehrt uns die Positive Psychologie. Aber wir können mitschmieden.
TIPP
Die Akademie für Positive Psychologie bietet Ausbildungen, Seminare, Workshops, Vorträge und Tagungen zum Thema Positive Psychologie.
Buchtipps:
- Die Kraft der Positiven Psychologie, Wladislaw Jachtchenko, Remote Verlag, 222 Seiten
- Flourish – Wie Menschen aufblühen: Die Positive Psychologie des gelingenden Lebens, Martin Seligman und Stephan Schuhmacher, Kösel, 480 Seiten
Bild: Bertram Strolz leitet die Akademie für Positive Psychologie