Skip to main content

Auf Schiene natürlich!

complete Magazin 10/23

Nachhaltig, pünktlich, bequem: Die Zukunft des Reisens soll dem Zug gehören. Sogar von Wien nach Hanoi. Eine Vermessung des österreichischen Bahnnetzes und der Bahnzukunft bei WESTbahn und ÖBB.

Mit der WESTbahn geht es bereits bis nach München. Nun kommt auch das Rheintal hinzu
© WESTbahn
Elias und Matthias Bohuns nachhaltiges Bahnfernreisebüro Traivelling wurde 2019 zur besten Geschäftsidee Niederösterreichs gekürt
© DANIELA MATEJSCHEK
Besonders bei den 18- bis 29-Jährigen sind nachhaltige Zugreisen sehr beliebt
© Harald Eisenberger/ÖBB
Seit 2016 fährt der Nightjet der ÖBB wieder. Um die Tickets für Schlaf- oder Liegewagen gibt es förmlich ein G’riss
© Harald Eisenberger/ÖBB

Mit dem Zug von Wien nach Hanoi? Möglich. Aber warum sollte man sich die Ochsentour antun, wenn das Flugzeug doch so viel schneller ist? Die Antwort liefert ein Blick aufs persönliche CO2-Konto: Das wäre nach einem Flug Wien–Hanoi und retour kräftig überzogen. Laut Kompensationsrechner verursacht so ein Flug pro Passagier rund vier Tonnen CO2. Das ist fast doppelt so viel, wie pro Person als klimaverträgliches Jahresbudget statistisch kalkuliert wird.

Der 21-jährige Wiener Elias Bohun entschied sich deshalb vor einigen Jahren für den Zug. In Eigenregie stückelte er die Route über Warschau, Riga, Moskau, Kasachstan und China zusammen. Via Social-Media-Aufrufen ließ er sich von Fremden in den jeweiligen Transitländern Tickets besorgen und an den Umsteigeorten hinterlegen. Ein aufwendiges Abenteuer mit Stoff für Erzählungen, die viele Menschen neugierig machten. So viele, dass er 2019 mit seinem Vater das klimafreundliche Bahnreisebüro Traivelling eröffnete. Spezialgebiet: Zugfernreisen in Europa, nach Asien und Nordafrika. Bald schon gingen Tausende Anfragen ein. Der Zug liegt hierzulande mit 27 Prozent auf Platz drei der bevorzugten Verkehrsmittel für Reisen innerhalb Europas. Zwar hinter Flugzeug und Auto, doch besonders bei den 18- bis 29-Jährigen ist Zugfahren sehr beliebt.

Die Strecke von Wien nach Vietnam – reine Reisezeit: circa 8 Tage, empfohlene Zeit: etwa 16, fünf Übernachtungen auf dem Weg inklusive – bietet Elias Bohuns Reisebüro mometan nicht an. Der Angriff Russlands auf die Ukraine macht beide Länder unpassierbar. So sind Zugreisen nach Asien wieder in weite Ferne gerückt.

Europas chaotisches Zugnetz

Der Ukrainekrieg ist nicht das einzige Problem, wenn es um Fernreisen mit dem Zug geht. Wer glaubt, in Zeiten von Klimaschutz und Nachhaltigkeit stünde ein modernes europäisches Bahnnetz als umweltfreundliche Alternative bereit, irrt. Die verschiedenen Bahnunternehmen arbeiten nach eigenen Fahrplänen ohne EU-weite Standards. Nicht einmal auf allgemeine Bezeichnungen für die Bahnhöfe hat man sich bislang geeinigt. Außerdem herrscht Konkurrenz zwischen Staats- und Privatbahnen, was für das Buchen von individuellen Zugfernreisen in Europa nahezu investigative Recherchefähigkeiten und buddhistischen Gleichmut erfordert.

Als „recht chaotisch“ beschreibt Elias Bohun den gegenwärtigen Zustand. „Wir arbeiten derzeit an einer neuen Plattform, um ab Anfang 2024 individualisierte Strecken durch Europa vollautomatisiert buchbar zu machen.“ Selbst für die Profis von Traivelling ein schwieriges Unterfangen. Hinzu kommt, dass in den vergangenen Jahrzehnten europäische Bahninfrastruktur veraltete oder kaputtging. „Wenn die Bahn künftig das Hauptverkehrsmittel werden soll, müsste man das Kontingent in einem nie da gewesenen Ausmaß aufrüsten“, sagt Bohun.

Das würde sich auszahlen, hängt die Bahn doch Flugzeug und Auto in vielen Bereichen ab: Sie punktet mit Umweltverträglichkeit und erspart ihren Fahrgästen langwierige Sicherheitskontrollen, Gepäckbestimmungen oder Staus. Sie bietet unterwegs Bewegungsfreiheit, ein ständiges Panorama und Raum für soziale Interaktionen.

Österreichische Nachtschwärmer

Seit 198 Jahren fährt die Bahn in Europa, seit 186 in Österreich. Noch immer fehlt ein gemeinsames politisches Bekenntnis zum Ausbau eines europäischen Bahnnetzes. Doch wird nun vermehrt in die Modernisierung von Schienen und Zügen investiert. Dazu gehören auch Flüsterbremsen für Güterwaggons und Lärmsanierung. Bei den ÖBB werden Akkuzüge Dieselloks ablösen, auch wird die Modernisierung der Regionalbahnen vorangetrieben.

Um die Bahn zum Verkehrsmittel erster Wahl für Urlaubsreisen zu machen, ist die Wiederbelebung des europäischen Nachtzugnetzes nötig. Die ÖBB spielen hier eine Vorreiterrolle. Viele Bahnunternehmen haben seit den 2000er-Jahren ihre Nachtzugverbindungen eingestellt. 2016 begannen die ÖBB mit dem Nightjet ein Nachtnetz wieder aufzubauen. „2022 hatten wir 1,5 Millionen Fahrgäste in unseren Nachtzügen. Auch 2023 sehen wir einen Boom im Nachtreiseverkehr. Die Züge sind praktisch ausgebucht, vor allem in den Ferien. Am deutlichsten ist die Auslastung im Schlafwagen. Er ist oft über Wochen ausgebucht. Die Nachfrage für deutlich mehr Nachtzüge in Europa ist also vorhanden“, erklären die ÖBB.

Bahnbooster Klimaticket

Ein weiterer Grund für den wachsenden Betrieb auf den 5.000 Schienenkilometern in Österreich ist das Klimaticket. Seit seiner Einführung im Oktober 2021 kann man um € 1.095,-, das sind drei Euro pro Tag, alle Öffis im Land nutzen. Mit 150 Millionen Euro förderte es die Regierung schon im ersten Jahr. Mit solchem Erfolg, dass die ÖBB seither immer wieder Fahrgäste bitten mussten, aus überfüllten Fernzügen auszusteigen. Zumindest alle ohne Sitzplatzreservierung.

Auch den privaten Bahnbetreiber WESTbahn hat das Klimaticket aus dem Corona-Tief geholt. Seither erfreut man sich steigender Fahrgastzahlen. „Wir haben heute deutlich mehr Fahrgäste als vor dem Pandemiebeginn 2019“, sagt WESTbahn-Geschäftsführer Thomas Posch. Mit der Einführung des Klimatickets hat die WESTbahn ihren Fuhrpark aufgerüstet und die Kapazitäten verdoppelt. „Wegen Überlastung aussteigen muss auf der Strecke Wien–Salzburg niemand“, sagt Posch. Im Gegensatz zur Konkurrentin ÖBB sei jede Zuggarnitur mit immer derselben Zahl an Waggons unterwegs, daher stehe stets das vorgesehene Platzangebot zur Verfügung. Ein zusätzlicher Vorteil: Jedes Ticket beinhaltet automatisch eine Sitzplatzreservierung. Ein Sitzplatz wird nicht auf der ganzen Strecke blockiert, die Reservierung erlischt erst 15 Minuten nach geplantem Zustieg.

Investitionen in eine nachhaltige Zukunft

Im europäischen Vergleich belegt Österreichs Bahnnetz seit Jahren Spitzenplätze, meist nur von Europas Top-Bahnland Schweiz geschlagen. So rüstet man sich bei der Staatsbahn ÖBB und der privaten WESTbahn optimistisch für die Zukunft. Die ÖBB erhöhen in den kommenden sieben Jahren die Sitzplatzkapazitäten um vierzig Prozent. Ab Jahresende gehen auch die ersten neuen Nightjets in Betrieb. Ab Anfang 2024 fahren acht längere Railjets und in den Folgejahren weitere neue Züge im inneralpinen Schienenverkehr. 4,7 Milliarden Euro werden laut ÖBB investiert.

Bei der WESTbahn liegt der Fokus auf der Ausweitung des Streckennetzes: Seit dem Frühjahr 2022 bedient sie fünfmal täglich die Route Wien–München und seit Dezember 2022 Wien–Innsbruck, eine der am stärksten frequentierten Strecken des Landes. Schon ab 10. Dezember 2023 wird die WESTbahn morgens von Bregenz nach Wien und nachmittags zurück nach Bregenz fahren. „Wir werden das gesamte Rheintal bedienen und dabei wie eine Schnellbahn in jedem Ort halten“, erklärt WESTbahn-Chef Thomas Posch. Ende 2024 soll von München nach Stuttgart verlängert werden. Auch der Osten ist im Blick: „Budapest wäre der nächste logische Schritt. Die Frage ist nur wann.“ Nach Süden fahre man, „sobald Semmering- und Koralmtunnel fertig sind“. Die Zukunft ist Schiene – was sonst?

© Clem Onojeghuo/Unsplash

TIPP

Elias Bohuns nachhaltiges Zugfernreisebüro Traivelling. Mit Buchungen muss man sich aktuell noch ein wenig gedulden: Die neue Buchungsplattform ist voraussichtlich ab Frühjahr 2024 in Betrieb.

Mit der ÖBB durch ganz Österreich und ins Ausland: bequem mit dem Nightjet über Nacht im Schlafwagen.

Günstig über die Weststrecke mit der WESTbahn von Wien bis München.

 

Sie haben Fragen zu unseren Services oder Produkten?

Besuchen Sie unsere umfangreichen FAQs.