Ein Sofalöwe in der Familie?
complete Magazin 09/22
Verursacht die Hauskatze ein Artensterben von gigantischem Ausmaß oder ist sie nur unser harmloses Schmusetier am Sofa?
In den violetten Minuten vor und nach Sonnenaufgang singen sie: Gartenrotschwanz, Singdrossel oder Amsel. Plötzlich hallt aufgeregtes „duck duck duck tschewi tschewi tschewi duck duck“ durch den Hof. Das Morgenorchester verstummt. Auf leisen Pfoten ist er wieder unterwegs, Nachbars Kater, allzeit bereit, anzugreifen. Trotz vollem Futternapf in der Küche. Sein Jagdinstinkt treibt ihn zu den Vögeln.
Hauskatzen gehören zu den geschicktesten Jägern, vor allem aber zu den erfolgreichsten. Seit ihrer Domestizierung vor mehreren Tausend Jahren besiedeln sie gemeinsam mit Menschen alle Kontinente, selbst die Antarktis. Mehr als 600 Millionen schätzt man weltweit. Und sie jagen alles: Vögel, Reptilien, Amphibien, kleine Säugetiere und Insekten. Immer mehr Forschende warnen vor der Felis catus als Gefahr für die Artenvielfalt. In den USA soll jede Katze statistisch berechnet pro Jahr bis zu 47 Vögel und bis zu 299 kleine Säugetiere töten. Das sind jährlich Milliarden an kleinen Tieren.
Australien erfährt mit einer gewissen Regelmäßigkeit von Menschen eingeschleppte Plagen. Zur Feindin Nummer eins der heimischen Artenvielfalt wurde dort die verwilderte Hauskatze erklärt – schlimmer als die Klimakrise. Zwei Millionen getöteter wilder Katzen und der weltweit längste katzensichere Zaun sind das Ergebnis von Maßnahmen in den letzten Jahren.
In Europa könnte Hauskatzen Hausarrest drohen: 2019 forderten die niederländischen Umweltrechtler Arie Trouwborst und Han Somsen das Ende des Freigangs per Vogelschutzrichtlinie der EU. Hauskatzen, so meinen die Juristen, seien eine Gefahr für mindestens 367 bedrohte Vogelarten und an der Ausrottung von mindestens zwei Reptilien-, 21 Säugetier- und vierzig Vogelarten beteiligt gewesen.
In Österreich hält der Zoologe Peter Iwaniewicz den Einfluss der Hauskatze auf die heimische Fauna für verschmerzbar. „Die Vogelbestände in Österreich sind konstant. Es gibt zwar bei bestimmten Arten punktuelle Rückgänge, aber ebenso Zugänge.“ Man stütze sich in der Hauskatzendebatte lediglich auf Hochrechnungen, die auf einzelnen Studien basieren. Konkrete Zahlen gebe es nicht. „Auch werden Faktoren wie natürliche Sterblichkeit, Windräder oder andere Raubtiere nicht berücksichtigt.“ Man arbeite mit einem Theoriekonstrukt ohne empirische Grundlage. „Die wahre Bedrohung für die Artenvielfalt sind Landwirtschaft und Lebensraumverlust, nicht die Hauskatze.“
„Zumindest die Zahl der Streuner wird künftig abnehmen“, sagt Sabrina Danklmayer über die Zukunft der rund 200.000 heimischen Hauskatzen. Sie ist Juniorchefin des Vereins „Pfötchenhilfe“, der sich in Niederösterreich um Kastration und Betreuung von Streunerkatzen kümmert. Ein Umdenken in der Katzenhaltung sei bemerkbar: Immer mehr werden drinnen gehalten – zu ihrem eigenen Schutz vor Autos, Jägern oder Wildtieren. „Man kann Katzen auch ohne Freigang artgerecht halten.“
Bei Hunden sei der Besuch einer Hundeschule längst Standard, in der Katzenhaltung bedürfe es noch einiger Aufklärungsarbeit. Doch Schulen, wie jene von Katzencoach Petra Ott oder ihre digitale aCATemy, werden immer beliebter. „Heute steigen die Anforderungen an die Haltung“, erklärt Danklmayer. „Man muss sich mit den Tieren beschäftigen und ihre Bedürfnisse erfüllen. Schließlich ist die Katze ein Familienmitglied.“