Der hypnotische Blick kocht
complete Magazin 09/22
Der jungen Wienerin Baraa Bolat folgen fast zwei Millionen Menschen auf TikTok. Rund eine halbe Million sieht ihr regelmäßig auf Instagram beim Kochen zu. Was macht sie so erfolgreich?
Es brodelt. In der Gerüchteküche der sozialen Medien. Aber auch bei unzähligen Food-Influencerinnen. Sie lassen sich von Followern beim Kochen über die Schulter schauen. Österreichs wohl bekannteste virtuelle Köchin ist die 27-jährige Wienerin Baraa Bolat. Sie kocht ihr sehr eigenes Süppchen: Mit starrem Blick und unbewegter Miene über Arbeitsfläche und Töpfe gebückt, bereitet die Ex-Austria’s-Next-Topmodel-Kandidatin und heutige Unternehmerin Gerichte aus aller Welt zu. Das Ende quittiert sie mit „Bismillah-mhhhh!“. Kommt aus dem Arabischen und bedeutet etwa „Im Namen Gottes“. Dabei sehen ihr mehr als 2,5 Millionen Menschen regelmäßig auf verschiedenen Kanälen zu.
Als Markenzeichen ein hypnotischer Blick. „I hypnotize food with my eyes“, verrät das Instagramprofil. Wie wird man zur Küchenhypnotiseurin?
Baraa Bolat: Begonnen hat alles mit meinem TikTok-Kanal vor etwa fünf Jahren. Ich wusste nicht recht, was dort zu machen wäre. Die meisten tanzten oder brachten Challenges – damit habe ich mich nicht wohlgefühlt. Daher postete ich ein paar ASMR-Videos, also Clips, in denen nur Essgeräusche zu hören sind. Bei den ersten drei Kochvideos war noch nichts inszeniert, ich habe einfach konzentriert gekocht. In den Kommentaren schrieb einer dazu: „Bruder, die hypnotisiert ja fast schon ihr Essen!“ Das hat mir so gut gefallen, dass ich den starren Blick zu meiner Marketingmasche gemacht habe. Seither gelte ich als Frau, die ihr Essen hypnotisiert. Meine Signature ist das „Bismillah-mhhhh“ am Ende jedes Kochvideos. Das muss sein, das bin ich.
Was macht ein gutes Kochvideo im Gegensatz zu einem analogen Rezept oder einem Foodblog aus?
Bolat: Die Dynamik in Social Media ist eine ganz andere. Ich gestalte meine Kochvideos so, dass sie nicht länger als höchstens sechzig Sekunden dauern. Selbst wenn ich für das Kochen fünf Stunden brauche. Selbsterklärende Schritte überspringe ich und schaffe es damit, auch komplexere Rezepte in sechzig Sekunden zu verpacken. Am Ende ist alles eine Frage der Schnitttechnik. Wir leben in einer schnellen Zeit, kein Mensch schaut sich heute ein zwölfminütiges Kochvideo an.
Wie entstehen die Clips?
Bolat: Ich mache alles allein und drehe mit Stativ, Ringlicht und Handy in meiner Küche zu Hause. Heute etwa habe ich schon um sieben Uhr in der Früh drei Stunden lang gefilmt und das Video dann in der U-Bahn auf dem Weg ins Büro geschnitten. Dort führe ich mein Unternehmen „Baraa Innocence“. Weil ich meine Kochvideos nicht vernachlässigen will, muss ich meinen Schlaf opfern. Als Mama ist man gewohnt, mit wenig Schlaf auszukommen. Ich mache fast täglich Videos, denn ich koche ja ohnehin jeden Tag zuhause.
Jeden Tag etwas Neues?
Bolat: Ja, deshalb freut sich mein Ehemann auch so. Meine persönlichen Lieblingsrezepte gehen besonders schnell. Ich schätze, das ist bei vielen Müttern so. Allerdings muss ich sagen: Je komplexer Rezepte sind, desto eher gehen sie viral. Die Leute stehen mehr auf ausgefallene Gerichte und Neues, Exotisches.
Für wen sind die Videos?
Bolat: Ich versuche möglichst alle anzusprechen: Jung, Alt, Mann, Frau, Kind, sämtliche Religionen und Nationen. Dementsprechend heterogen sind meine Follower. Social Media bringen nah zusammen, was eigentlich fern ist. Das Geschlechterverhältnis unter meinen Followern ist sehr ausgewogen. Dass so viele Männer darunter sind, freut mich sehr. Viele gehen ja immer noch davon aus, dass Kochen Frauensache sei. Dass mich vor allem aus der TikTok-Community viele ganz junge Burschen auf der Straße erkennen, beweist das Gegenteil.
Gibt es ein kulinarisches No-Go?
Bolat: Pizza mit Ananas. Das würde ich niemals backen, totales No-Go! Sollte ich es doch jemals machen, dann ironisch. Sonst versuche ich möglichst alles zu kochen, gern auch kontroverses oder ausgefallenes Zeug. Letztens habe ich ein Video zu Halal-Wein, also alkoholfreiem Wein, gedreht. Ein italienisches Essen mit einem Glas alkoholfreiem Rotwein dazu polarisiert ganz schön. Und polarisieren gehört in Social Media dazu.