Immer einen Schritt voraus
complete Magazin 08/23
Clôd Priscilla Baumgartner upcycelte bereits Mode, als es den Begriff Upcycling noch gar nicht gab. 20 Jahre später gibt die Fair-Fashion-Pionierin mit ihrer Agentur für Innovation ihr Wissen weiter.
„Umtriebig“ ist die Bezeichnung, die man in Verbindung mit Clôd Priscilla Baumgartner meistens hört. Überall, wo die Kleider-, Event- und Vieles-mehr-Macherin Hand anlegt, ist sie mindestens einen Schritt voraus, jede Szene, die sie betritt, mischt sie auf. Als die in Innsbruck aufgewachsene gebürtige Schweizerin Ende der 1990er-Jahre auf den Wiener Yppenplatz zog, lag die Stadt noch in einem Modekoma, ein paar Konzerne kleideten die Masse ein. Fair Fashion war ein exotisches Vokabel, von dem kaum je eine:r gehört hatte und der Begriff Upcycling noch nicht einmal erdacht. Baumgartner sorgte für eine nachhaltige Veränderung: Mit ihrem Modelabel „MILCH“ schuf sie stylische Frauenkleidung aus abgelegten Businessanzügen und wurde somit zur Upycycling-Pionierin. In ihrem Ottakringer Y5. Showroom for Fair Fashion präsentierte sie neben ihren eigenen Designs auch Stücke von Designer:innen, die als „Designers in Residence“ bei ihr temporär Repräsentation fanden. Baumgartners nächste große Nummer: der „Modepalast“, eine Kaufveranstaltung für modernes Modedesign, die sie zusammen mit der Künstlerin und Modemacherin Jasmin Ladenhaufen gründete. Binnen weniger Jahre wurde der Geheimtipp zu einem der wichtigsten Events ins Sachen Mode – was mit nur 30 jungen Designer:innen in einer Halle im MuseumsQuartier gestartet hatte, war bis 2012, als Baumgartner und Ladenhaufen die Marke Modepalast verkauften, zu einer Großveranstaltung angewachsen, auf der rund 160 nationale und internationale Labels ihre Mode präsentierten. Nebenbei schüttelte Baumgartner den „Top Swap“ aus dem Ärmel, eine riesige Kleidertauschparty, die es bis ins Hotel Hilton schaffte und das Kleidertauschen in Wien salonfähig machte.
Als es wieder Zeit war, neue Wege zu gehen, schoss Clôd Baumgartner ein Studium zur Innovationsmanagerin an der Donau-Universität Krems hinterher, baute das Crowdfunding und die Social-Media-Kanäle des Caritas-Hotels Magdas auf und – damit’s nicht fad wird – mit Lieblingsbrand.at einen Online-Marktplatz für hundert lokale Designer:innen. Heute gibt Baumgartner mit ihrer Agentur für Innovation & Entrepreneurship ihr Wissen weiter. Und baldowert natürlich neue Projekte aus.
Fair Fashion, Upcycling, Kleidertausch und Kaufevents für Modedesigner:innen – heute alles ganz alltäglich. Als Sie ab Ende der 1990er mit alledem in Wien begannen, waren Sie der Zeit voraus. Was hat Sie damals inspiriert?
Clôd Priscilla Baumgartner: Es ist alles aus einem Eigenbedarf heraus entstanden. Ich bin mit eingeschränkten finanziellen Mitteln auf dem Land aufgewachsen, also habe ich mich schon als Jugendliche nach Ausgangsmaterialien für meine Entwürfe umgeschaut – und die sollten mich möglichst nichts kosten. Etwa die vorhandene Bettwäsche, Tischtücher von der Mutter oder später, als ich ins Brunnenmarktgrätzel nach Wien zog, diese Berge an gesammelter Wäsche, die sich dort türmten. Es war alles im Überfluss vorhanden, man musste nur etwas daraus machen. Es waren tolle Materialien, bis hin zu Fahrradschläuchen und Herrenanzügen.
Für Kleider aus solchen upgecycelten Anzügen wurde Ihr Label MILCH ja bekannt.
Baumgartner: Mittlerweile nenne ich diese Anzüge nicht mehr Herrenanzug, sondern „Uniform der Macht“. Menschen, meistens Männer, die diese Anzüge tragen, müssen kaum Zeit darauf verschwenden zu überlegen, wie sie auftreten, und können sich in diesen Anzügen verstecken. Darüber hinaus sind die Stoffe toll. Ich habe sie verwendet, weil sie in Fülle da waren und mich nichts gekostet haben. Irgendwann stellte sich die Frage: Was mache ich mit all den Sachen, die ich produziere? Sie waren ja immer an der Kante zwischen Kunst und Tragbarkeit. Tragbare Kunst eben. Im Wien des Jahres 1999 gab es nichts Vergleichbares – da waren nur diese zwei, drei großen Modemarken. Wo sollte ich meine Stücke also verkaufen? Nachdem ich mich für diese Schiene zu interessieren begann, habe ich relativ schnell herausgefunden, dass viele in ihren Ateliers vor sich hin werkeln und keine Präsentationsmöglichkeiten haben. Aus diesem Eigenbedarf haben wir die boutique gegenalltag im MuseumsQuartier und dann den Modepalast, also die Verkaufsausstellung für Modemacher:innen, gestartet. Das hat eingeschlagen. Es war einfach zur richtigen Zeit. Die ganze Szene ist dann gemeinsam gewachsen, und wir haben uns natürlich auch immer weiterentwickelt. Dann kamen die Themen Slow Fashion, Green Fashion und Local Production auf. Und weil ich eben eine Antenne für Innovationen und Neues habe, habe ich all diese Schlagworte sofort aufgegriffen und umgesetzt. Den Begriff Upcycling gab es halt damals noch nicht. Der kam erst um 2006 herum auf.
Heute gelten Sie als die Wiener Fair-Fashion-Pionierin. Wie wurden Ihre Ideen damals aufgenommen?
Baumgartner: Man muss es einfach sagen: Wien ist keine Modestadt. Schaut man sich auf der Straße um, ist wenig Wille und Freude zum Experiment da. Dementsprechend war es schon schwierig, Kund:innen für unsere Kreationen zu finden. Aber das ist gelungen, indem wir prominente Orte wie das MuseumsQuartier bespielten. Das hat dem Ganzen ein bisschen Glanz und Glamour verliehen und eine gewisse Attraktivität geschaffen. Dann setzte so eine Art Herdentrieb ein und man begann, unsere Projekte wahrzunehmen. Aber wie gesagt: Wien ist diesbezüglich ein hartes Pflaster. Wir sind mit dem Modepalast später auch nach Linz gegangen, und dort wurde uns förmlich der rote Teppich ausgerollt. Dabei muss man der Stadt Wien auch ein Kompliment aussprechen, weil es tolle Förderungen gibt. Man hat echt keinen Grund zum Sudern.
Ihr Upcylcing-Label MILCH verkauft ja mittlerweile keine fertige Kleidung mehr, sondern stellt Nähanleitungen für die Designs zur Verfügung. Warum?
Baumgartner: Die MILCH-Kollektionen hat es ja sehr lange gegeben und ich habe mich weiterentwickelt, bin weggekommen von der Modeszene, habe dann Innovationsmanagement studiert und mich auf Crowdfunding spezialisiert. Man kann als Einzelunternehmerin nicht überall gleich viel Liebe und Energie hineinstecken. So war das einfach der nächste logische Schritt für mich. Im Businesssprech würde man es „Geschäftsmodellinnovation“ nennen, keine materiellen Produkte, sondern digitale zu verkaufen.
Auch da waren Sie wieder Pionierin.
Baumgartner: Nun ja, es haben ja alle die Stoffe, die man für ein MILCH-Modell braucht, zu Hause. Das Basismaterial hängt weltweit in den Schränken. Warum sollen wir die Sachen also herumschippern? Macht es selber! Und der Trend zu „Do it yourself“ ist klar da. Wenn ich nun die Anleitungen dazu verkaufe, ist das schon sehr clever.
Sie sind jetzt Innovationsmanagerin und betreiben eine eigene Agentur. Ist Österreich ein schwieriges Pflaster für Innovative?
Baumgartner: Für die Start-up-Szene gilt das Gleiche wie in der Mode: Man hat hier alle Möglichkeiten der Welt. Trotzdem wird gerne gesudert, es sei schwierig aufgrund diverser Auflagen. Weil ich jetzt auch viel in anderen Ländern unterwegs bin, kann ich sagen: Im Vergleich zu anderswo ist es hierzulande einfach. Was Österreich, und Wien im Speziellen, zu einem schwierigen Pflaster macht, ist unser Mindset. Es wird viel geneidet, man redet nicht über Ideen, aus Angst, sie könnten gestohlen werden, und über Geld sowieso nicht – was im Crowdfunding ein Riesenthema ist. Da steht uns unsere eigene Herangehensweise im Weg. Das ist schade. Und dass man das Versagen dann auf Obrigkeiten schiebt und auf jemand anderen schimpft, statt zu schauen, was man selber machen könnte, gehört auch dazu.
Was baldowern Sie als Nächstes aus?
Baumgartner: Auch mein neues Projekt ergab sich wieder aus einem persönlichen Bedarf heraus: Weil ich an meinen Projekten viel alleine arbeite, dachte ich mir, wir sollten einander viel mehr unterstützen. Ich hätte gerne ein Accountability-Team um mich herum. Das soll genau wissen, woran ich arbeite, welche Ziele ich mir gesetzt habe, und mir dabei helfen, diese auch eigenverantwortlich einzuhalten. Also habe ich ein weltweites Netzwerk von Frauen gestartet, die genau das tun: miteinander kleine Accountability-Teams bilden, sich Ziele setzen und sich wöchentlich online kurz treffen. Dazu gibt es Anleitungen, Meeting Manuals, die ich zu verschiedenen Themen entwickelt habe, damit man ganz strukturiert diese Stunde miteinander verbringt und trotzdem eine tiefe Verbindung entwickelt. Es ist unglaublich, wie schnell man sich miteinander verbunden fühlt und wie sehr es jeder etwas bringt, dieses kleine Team von Cheerleadern hinter sich und neben sich zu haben.
Ein reines Frauenprojekt also?
Baumgartner: Das ist der Plan. Männer haben genug solcher Klubs, Netzwerke und Seilschaften und ich will das einfach auch haben. Wenn in solchen Fünfer-Teams nur Frauen miteinander arbeiten, dann schafft das eine ganz andere Atmosphäre und einen anderen Zugang. Auch da gibt es gruppendynamische Prozesse, die ich versuche auszuhebeln, eben durch diese Meeting Manuals und den wöchentlich wechselnden Teamlead. Women only auch deshalb, weil das Patriarchat lange genug Zeit hatte, etwas richtig zu machen. Meine große Vision ist ein weltweites Netzwerk aus „Expeerts“ – wir schreiben uns mit zwei e, weil wir alle Expertinnen und Peers sind – zu schaffen, in dem wir einander auf Augenhöhe begegnen. Dabei ist es wichtig, dass die „Expeerts“ innerhalb dieser Teams auf verschiedenen Kontinenten beheimatet sind. Wir brauchen Diversity!
TIPP
Clôd Priscilla Baumgartners Agentur für Innovation hilft dabei, neue Ideen und Projekte auf Schiene zu bringen
Clôd Priscilla Baumgartners Modelabel kreierte bereits in den 1990er-Jahren Pieces aus aussortierten Herrenanzügen. Inzwischen werden hier keine fertigen Stücke mehr verkauft, sondern Schnitte und Anleitungen für DIY.
Bild: MILCH-Modelle zum selbst schneidern