Tiere des Jahres 2023
complete Magazin 04/23
Die streng geschützte Haselmaus ist das Tier des Jahres 2023. Plus: die Top drei der Tiere und der „Alien des Jahres“.
Oscar-Verleihung im Tierreich – so nachvollziehbar wie in Hollywood. Doch dem „Tier des Jahres“ winken „15 minutes of fame“. Egal ob Pelz, Federkleid, Chitinpanzer oder Reptilienhaut, eines haben die Gewinner:innen gemeinsam: Es handelt sich um Arten, deren natürlicher Lebensraum durch den Menschen bedroht ist. Seit Beginn der 1990er-Jahre küren Naturschutzorganisationen deshalb jedes Jahr die „Natur des Jahres“. Sie wollen damit Bewusstsein für Arten oder Lebensräume schaffen und auf die Gefährdung der Artenvielfalt aufmerksam machen. Hier also die heimischen Gewinner 2023:
Nachtaktiv und Klettertier
Der Österreichische Naturschutzbund hat die Haselmaus (Muscardinus avellanarius) als Tier des Jahres 2023 auserkoren. Dabei ist die Haselmaus keine Maus. Genau genommen zählt sie zu den Bilchen. Die Bilchfamilie gehört zur Ordnung der Nagetiere. Sie kommt in Europa, Asien und Afrika vor. Der Garten-, der Baum- und der Siebenschläfer sind Familienangehörige.
Wie der Name vermuten lässt, ist die Haselnuss eine wichtige Nahrungsquelle der Haselmäuse. Um an die Kerne zu gelangen, nagen sie ein kreisrundes Loch in die noch nicht verholzte Schale. Für den Menschen bleibt das nachtaktive Tier nahezu unsichtbar. Lediglich Nussschalen mit typischen Fraßspuren lassen ihre Anwesenheit erahnen.
Den Tag wie den Winter verschlafen Haselmäuse in Nestern aus Laub und Gras. Sie bauen sie zwischen dünne Zweige, ins Dickicht oder in Baumhöhlen. Der kleine Bilch ernährt sich von Insekten, Baumfrüchten, Nektar, Samen, Knospen und Blättern. Mehrmals im Jahr werfen Haselmäuse zwei bis fünf Junge, die blind, nackt und nur zwei bis drei Gramm schwer geboren werden. Vierzig Tage später suchen sie sich bereits eigene Reviere.
Haselmäuse verfügen über den Zangengriff. Durch das Gegenüberstellen einzelner Finger und die Möglichkeit, sie zu krümmen, können sie auch ohne Daumen fest zupacken und Äste umklammern. Durch die Agrarindustrie und die damit einhergehende Rodung von Hecken ist der Lebensraum der Haselmaus stark gefährdet.
Alien des Jahres
Ursprünglich stammt der Signalkrebs (Pacifastacus leniusculus) aus Nordamerika. Nach Europa wurde er als Speisekrebs importiert. Seinen Namen verdankt er einem weißen Fleck am Gelenk des roten Scherenfingers.
In den 1970er-Jahren setzte man 2.000 Tiere in heimischen Gewässern aus, um Lücken im heimischen Flusskrebsbestand zu füllen. Doch der Signalkrebs überträgt eine Pilzerkrankung auf heimische Arten. So hat er sie fast völlig verdrängt. Heimische Flusskrebse gibt es heute kaum noch, aber der nachtaktive Allesfresser aus Nordamerika vermehrt sich prächtig. Der Signalkrebs ist schnellwüchsiger, früher geschlechtsreif und aggressiver als heimische Krebse. Er wandert gern und weit und besiedelt neue Lebensräume rasch. Die Naturschutzgesetze der meisten europäischen Staaten verbieten es, Signalkrebse in Freigewässern auszusetzen.
Der Signalkrebs gestaltet seinen Lebensraum im Wasser um, indem er unter Steinen oder zwischen Wurzeln Höhlen gräbt. Er dezimiert auch seine tierische Nachbarschaft: Insektenlarven, Mollusken sowie lebendes und abgestorbenes Pflanzenmaterial.
Vogel des Jahres
Es ist das Braunkehlchen (Saxicola rubetra), ein zur Gattung der Wiesenschmätzer gehörender Singvogel. Von April bis September ist er in Europa anzutreffen. Sein Winterquartier bezieht er südlich der Sahara in Afrika.
Nester baut das Braunkehlchen bevorzugt in Bodennähe, wo es auch Deckung findet. Im hohen Gras brütet der Vogel gut versteckt einmal im Jahr vier bis sieben Eier aus. Nach zwei Wochen verlassen die Jungvögel das Nest und werden flügge.
Der Singvogel gilt als stark gefährdet. Verbauung, Landwirtschaft, aber auch frei laufende Hunde und Hauskatzen stören seine Brut. BirdLife Österreich schätzt, dass seit 1998 rund vierzig Prozent aller heimischen Vögel verschwunden sind. Das Braunkehlchen hat es besonders hart getroffen: Sein Bestand soll seit 2004 um achtzig Prozent zurückgegangen sein. Zwischen 950 und 1.500 Brutpaare vermutet man noch in Österreich. Tierschützer:innen fordern daher mehr Brachen und Blumenwiesen als Lebensraum.
Kleiner Frosch ohne Wasser
Um auf die Schutzbedürftigkeit des Kleinen Wasserfrosches (Rana lessonae) aufmerksam zu machen, wurde er zum Lurch des Jahres gewählt. Wasserfrösche leiden wie andere an Wasser gebundene Arten unter dem Verlust von Laichgewässern. Der Froschlurch ist in großen Teilen Europas beheimatet und auf kleine, sonnige, vegetationsreiche und nährstoffarme Moorgewässer angewiesen.
Lebensraum findet er in Niedermooren, fischfreien Gewässern und im feuchten Gras. Der kleine Wasserfrosch sieht dem Teichfrosch und dem Seefrosch sehr ähnlich. Alle drei sind meist grün, oft bräunlich gefleckt und haben eine helle Rückenlinie.
Wasserfrösche stoßen auffällige Paarungsrufe aus. Forscher:innen unterscheiden Paarungsruf, Revierruf 1 und 3 und Befreiungsruf. Dieser wird gegen Umklammerungsversuche anderer Artgenossen eingesetzt. Im Frühling ist somit ganz schön was los am nächtlichen Gewässer. Man könnte sagen: Das Bio tobt!
TIPPS
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Links:
BirdLife: www.birdlife.at