Alles für die Fisch’. Und das Gemüse
complete Magazin 06/22
Am Rand der Donaustadt steht der erste kommerzielle Aquaponik-Betrieb des Landes. Junge Landwirte ziehen dort Gemüse – und den Wiener Wels
Was haben Paradeiser, Melanzani, Paprika, Chili, Gurken, Hummeln und der afrikanische Raubwels gemeinsam? Sie gedeihen bei blün (bluen.at) in der Wiener Donaustadt. Dort bilden sie einen geschlossenen, etwa 1.500 Quadratmeter großen Mikrokosmos, ein Miniökosystem. Um dessen kleinsten gemeinsamen Nenner zu entdecken, bräuchte man ein Mikroskop: Dann sieht man die nitrifizierenden Bakterien. Sie halten den Kreislauf aus Fischzucht und Gemüseanbau am Laufen. Aquaponik nennt sich diese nachhaltige Technologie, bei der die Bakterien Ammonium und Ammoniak aus den Fischausscheidungen über das Zwischenprodukt Nitrit in Nitrat umwandeln, das dann den Gemüseanbau nährt. Die dicken Hummeln, eine geflügelte Armada, die durch das riesige Gewächshaus von blün brummt, sorgen unentgeltlich für die Bestäubung der Pflanzen.
Von außen betrachtet wirkt das Reich von blün unscheinbar: eine einstöckige graue Industriehalle mit angeschlossenem Glashaus – alles zusammen liegt am äußersten Rand der Donaustadt zwischen Einfamilienhäusern und Äckern. Im Hofladen deuten lediglich Indizien wie geräucherte Wels-Filets, Fischsauce oder Wels-Leberkäse darauf hin, dass man sich in der größten Fischzucht der Stadt und dem ersten kommerziellen Aquaponik-Betrieb Österreichs befindet.
Um den blün-Kosmos zu verstehen, lässt man sich am besten von Projekt- und Betriebsleiter Leonard Sonten, 31, auf eine Tour mitnehmen: In der dämmrigen, feucht-warmen Halle riecht es intensiv nach Moos. Haben sich die Augen erst an das spärliche Rotlicht gewöhnt, sieht man in den zehn Wasserbecken wurlende gordische Knoten mit schnappenden Mäulern aus je rund 400 bis 500 Welsen. Etwa sieben Monate dauert das Leben der Wiener Welse. Sieben Monate, in denen sie ihr Körpergewicht gut verfünfzigfachen und von handtellergroßen Fischchen zu armlangen Raubfischen heranwachsen. Ein paar gezielte Handgriffe von Johann, einem der sechs blün-Mitarbeitenden, später liegen dann grätenfreie Filets vor. Acht bis zehn Tonnen Wiener Wels-Filets produziert blün auf diese Art jährlich.
Während in den Becken die mit Fressen und Wachsen beschäftigten Fische dahinblubbern, erklärt Leonard Sonten das System. Über das Herzstück, einen gigantischen Zylinder aus Kunststoffgitter in der Hallenmitte, laufen die Abwässer aus den Fischbecken ab. Hier passiere pure Magie, sagt Sonten, der Meeresbiologie und Süßwasserökologie studiert hat. „Auf diesem Kunststoffgitter gedeihen in einem Biofilm die Bakterien.“ Die Abwässer werden aus dem Tank automatisch ins Glashaus geleitet. „Der Biofilter und unsere nützlichen Bakterien schließen den Einsatz von Antibiotika aus. Auch im Glashaus arbeiten wir mit Nützlingen statt mit Pestiziden oder Fungiziden“, sagt er.
So bleibt alles im Lot – und das bei einem niedrigen CO2-Fußabdruck: Bei der Aufzucht jedes Wiener Welses entstehen nur knapp drei Kilogramm CO2 pro Fisch, bis er als Filet auf dem Teller liegt. Zum Vergleich: Ein Kilogramm Rind verursacht rund 26 Kilogramm CO2. Selbst die, für die Fische optimale Planschtemperatur von konstanten 25° C schafft die Anlage größtenteils selbst. Nämlich durch die Abwärme der Bakterien bei Umbauprozessen. Nur im Winter müsse man den Welsen noch zusätzlich einheizen, um die Becken bei konstanten 25° C zu halten. Alles für die Fisch’ eben. Und das Gemüse.