Königreich der Kühle
complete Magazin 2024
Mehr als 16.000 Höhlen finden sich in Österreich. 31 davon sind als Schauhöhlen geöffnet. Sie eröffnen faszinierende Einblicke in eine Welt der Tropfsteine und Eisformationen. Fantastisch während der heißen Sommerwochen sind aber auch die kühlen Temperaturen.
Die beiden Feldbetten sind immer noch da. Sie rosten viele Meter unter dem Einstieg ins steirische Katerloch. Die Betten erzählen eine Geschichte, die auch im bizarren Umfeld der österreichischen Schauhöhlen einzigartig ist. Nämlich jene des Ehepaars Hermann und Regine Hofer. Praktisch im Alleingang und mit wenigen technischen Hilfsmitteln hatten sie sich Anfang der 1950er-Jahre durch den 350 Millionen Jahre alten Schöcklkalk ins Innere des Gebirgszuges vorgearbeitet. Sie seilten sich siebzig Meter tief zum Eulenschacht ab und öffneten die erhoffte Schatzkammer der unterirdischen Natur Spalt für Spalt. Dahinter lag noch eine weitere und auch da ging es immer noch weiter. Atemberaubende Wälder aus Stalaktiten und Stalagmiten schimmerten da im Licht der Karbid-Fackeln. Manche spiegelten sich sogar im schimmernden Wasserpool eines unterirdischen Seeparadieses.
Ein Bett im Dunkeln
Die Entdeckung der tropfsteinreichsten österreichischen Höhle war etwas, an das man glauben musste. Tag für Tag, Monate und Jahre kroch das Ehepaar durch enge Spalten und suchte nach Öffnungen. Sie trugen eigenhändig Dutzende Tonnen Gestein ab, um späteren Besuchern den Zugang zu dieser Wunderwelt zu ermöglichen. Weil der Weg in die Tiefe zeitraubend war, blieben die Hofers über Nacht. In der Regel eine ganze Woche lang, daher die obskuren Betten in der „Fantasiehalle“.
Das privat geführte Katerloch, benannt nach den männlichen Eulen, die in der Gegend Kater heißen und hier ein und aus fliegen, ist ein sehr besonderer Geheimtipp für Besucher:innen, die ein wenig Abenteuer suchen. Neben der herrlichen Kühle kann hier auch die Relativität der Zeit gespürt werden. Schließlich wachsen Tropfsteine in einer anderen Entschleunigungsliga: Nur wenige Zentimeter werden in Jahrtausenden gemessen. Besonderheiten wie der atemberaubend dünne, gut zwanzig Meter hohe frei stehende Stalagmit sogar in Jahrmillionen.
Steirische Unterwelt
In der Gegend nördlich von Graz wachsen Stalagmiten und Stalaktiten besonders fleißig. Gleich neben dem Katerloch klafft die älteste Schauhöhle Österreichs, die Grasslhöhle. Unweit von Bruck an der Mur erfordert der Besuch der Drachenhöhle von Mixnitz einen längeren Aufstieg zum fünfzehn Meter hohen Portal, hinter dem archäologische Artefakte und Knochen von 30.000 Höhlenbären gefunden wurden.
Weiter abwärts der Mur wartet die Lurgrotte mit zwei weit voneinander entfernten Zugängen auf. Die Superlative „Wasserreichste Schauhöhle Österreichs“ scheint hier angebracht. Der Zugang bei Semriach, dessen Großer Dom unter die Top-Ten-Höhlendome weltweit fällt, hat eine besondere Geschichte parat. Das Wasser steigt schnell in der regenreichen Gegend. So auch 1894, als Höhlenforscher neun Tage lang eingeschlossen waren. Via Radio, das als neues Massenkommunikationsmittel gerade aufgekommen war, wurde halb Österreich tagelang mit Live-Berichten über die Rettungsaktion in Spannung gehalten.
Heiß auf Eis?
Insgesamt laden österreichweit 31 Schauhöhlen zum Besuch ein. Sie führen in bizarre Höhlenwelten voller Sinterbildung – wobei jede Höhle Besonderheiten aufweist. In den heißen Sommermonaten lockt neben Tropfsteinformationen aber auch die glitzernde Welt der beiden größten Eishöhlen, die mit sehr unterschiedlichen Problemen zu kämpfen haben: Während die Rieseneishöhle am Dachstein kleiner werdende Eispaläste beklagt, legen die Eisformationen der Salzburger Eisriesenwelt Werfen bei konstanten null Grad Innentemperatur zu. Das Eis wuchert hier blaugrün über Handläufe und Eisentreppen. So oder so: Extracool ist die Visite in diesen Eispalästen in der heißen Jahreszeit allemal.
TIPP
Bild: Rieseneishöhle Dachstein