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Ein Kanal ohne Trump oder Swift

complete Magazin 2024

Wenn Donald Trump von Kanälen spricht, denkt er an die digitalen Kanäle von Social Media. Wenn Taylor Swift mehr Follower als die USA Wahlberechtigte hat, verdankt sie es ihren Social-Media-Kanälen. So wichtig die neuen Informationskanäle sein mögen, mit der Bedeutung eines sehr alten Kanals können sie es nicht aufnehmen. Er hat schon in der Antike viele Menschenleben gerettet. In Wien wird er seit hundert Jahren von Wien Kanal betreut.

Rund 450 Fachkräfte arbeiten im etwa 2.500 Kilometer langen Wiener Kanalsystem
© Wien Kanal
Für den neuen Regenwasserkanal unter dem Liesingbach hat „Marlies“, die Tunnelbohrmaschine, nach acht Tagen ihr Ziel erreicht
© Wien Kanal/Ivan Bandic
Der hohe Standard der Wiener Abwasserentsorgung fordert die Techniker:innen von Wien Kanal, ständig an der Erhaltung und Modernisierung des Kanalnetzes zu arbeiten
© Wienerfotoschule
In der ebs Hauptkläranlage wird der in den Klärbecken anfallende Schlamm wegen seiner starken Geruchsentwicklung in Faulbehältern gelagert
© Christian Houdek

Im antiken Rom hieß die Sammelstelle der Abwasserkanäle mitten in der Stadt „Cloaca maxima“. Hier lief zusammen, was niemand in Rom haben wollte. Nicht nur weil es stank, sondern auch Leben gefährdete. Die Ausscheidungen von Menschen und Tieren in der Großstadt konnten zu Krankheiten führen, wenn sie nicht entsorgt wurden. Dazu bauten die Römer Abwasserkanäle. Nicht nur in Rom, sondern auch in Vindobona, wie Wien vor rund 2.000 Jahren hieß. Zunächst ein Militärlager für römische Legionen auf dem heutigen Hohen Markt, wuchs bald eine Zivilstadt rundum. Schon die Legionäre gruben und bauten Kanäle, um ihr Lager von Abwasser frei zu bekommen. Den Boden der Kanäle legten sie mit Dachziegeln aus, gedeckt wurden sie von Steinplatten. Für kleine Kanäle steckten die Kanalbauer von Vindobona Rohre aus gebranntem Ton zusammen.

Bäche für Frisch- und Abwasser
Auch wenn man sie heute nicht mehr sieht, aus den Hügeln um Wien fließen etliche Bäche durch das Stadtgebiet in die Donau. Nachdem die Römer in Vindobona den Kelten, Germanen und Slawen Platz gemacht hatten, sorgten diese Bäche für Frischwasser ebenso wie für die Abwasserabfuhr. Das römische Kanalsystem verfiel. Das ehemalige Vindobona begann zu stinken. In gemauerten, meist offenen Leitungen, „Mörungen“ genannt, lief das Abwasser in den Arm der Donau, der heute „Donaukanal“ heißt. Am Wienfluss hatte man Mühlbäche für die verschiedenen Mühlen angelegt, ihre Erinnerung bewahren heutige Straßennahmen wie die „Heumühlgasse“. Auch Bäche wie die Als, der Ottakringer Bach, der Schmidtgraben, der Währingerbach oder der Franzosengraben bekamen wie weitere ihr Wiener Abwasser ab. Man konnte die Stadt damals schon aus einiger Entfernung riechen.

Gestank und Krankheiten
Dass Abwasser Krankheitskeime mit sich führen kann, war damals unbekannt. Man störte sich am Gestank und glaubte, dieser, „Miasma“ genannt, verursache Plagen wie Pest und Cholera. Daher ging man in der frühen Neuzeit dagegen vor. Die Mörungen wurden mit Platten bedeckt, ab der Zweiten Türkenbelagerung Wiens 1683 wurden erste Gebäude mit Leitungen zu Straßenkanälen errichtet. 1706 erhielten Hausbesitzer:innen in Wien die Aufforderung, ihre Senkgruben zuzuschütten und ihr Haus an die Kanäle der Stadt anzuschließen. Gegen eine Gebühr, versteht sich. Die Abwasserentsorgung kostete die Bürger:innen von nun an Geld.

Kaiserin Maria Theresia verlangt mehr Sauberkeit  
1739 galt die Stadt innerhalb der Befestigungsmauern als zum größten Teil kanalisiert. In den Vorstädten huldigte man aber immer noch den Bächen. Mit katastrophalen Folgen. Unwetter ließen die verunreinigten Bäche anschwellen, ihr überschwappendes Abwasser vergiftete die Hausbrunnen, aus denen getrunken wurde. Der Kaiserin stanken die Vorstädte mit ihren Gefahren für die Gesundheit. So ließ sie zur „Einführung mehrerer Sauberkeit“ ab 1753 auch dort Sammelkanäle graben und veranlasste die Hausbesitzer:innen, ihre Abwasserleitungen anzuschließen. Dennoch stank vieles weiter vor sich hin, die Donau, in der alles Schmutzwasser endete, sowieso.

In Wien wie auch anderen großen Städten führte bei Hochwasser der Eintrag von Abwasser in die Brunnen zu immer wieder auftretenden Seuchen. Zwischen 1831 und 1873 starben rund 18.000 Wiener:innen an der Cholera. Sie zwang die Stadtpolitiker Wiens, zwei große Sammelkanäle rechts und links vom Wienfluss bauen zu lassen.

Die Wiener Hochquellenleitung schwemmt das Abwasser aus der Stadt
Immer noch verdreckten Fäkalien, man denke an die Pferdefuhrwerke und Droschken, sowie Abwasser aus Handwerks- und Produktionsbetrieben die meist noch offenen Bäche. Die sogenannten Cholerakanäle am Wienfluss hatten die Situation nicht wesentlich verbessert. 1859 wurden strengere Vorschriften für Aborte, Senkgruben und Mörungen erlassen. Die Cholera wurde aber auch dadurch nicht aus der Stadt vertrieben. Erst das frische Wasser aus dem hundert Kilometer entfernten Rax-Schneeberg-Gebiet der 1873 in Betrieb genommenen „Ersten Wiener Hochquellenleitung“ erledigte das Problem. Es brachte nicht nur gesundes Trinkwasser in die Stadt, sondern auch genug, um die Kanäle ordentlich durchzuspülen. Zuvor hat das in ihnen stehende Abwasser die Bildung von Keimen begünstigt. Um 1900 erreichte Wien wieder den Hygienestandard von Vindobona.

Was Donald Trump und Taylor Swift nicht wissen
Wiens Kanalsystem zählt zu den am besten gewarteten der Welt und wird heute von der Magistratsabteilung Wien Kanal betreut. Rund 2.500 Kilometer Rohrleitungen führen täglich eine halbe Milliarde Liter Abwasser der zwei Millionen Wiener:innen und sieben Umlandgemeinden in die Kläranlage nach Simmering. Dort wird das Abwasser über drei Reinigungsstufen geklärt. Das saubere Wasser läuft dann in die Donau.

Anders als in vielen Großstädten arbeiten die rund 450 Mitarbeitenden bei Wien Kanal vorausschauend. Sie warten nicht, dass sich wie in London ein riesiger Fettpfropfen im Kanalsystem bildet, sondern reinigen es laufend. Täglich holen sie an die zwanzig Tonnen an Ablagerungen aus den Kanälen, man frage nicht, was sich da unten alles ansammelt.

Vorbild für andere Städte
Das digital überwachte und umsichtig betriebene Kanalmanagement Wiens dient als Vorbild für Städte auf der ganzen Welt. Jährlich wächst das Kanalsystem hier um zehn Kilometer, unterirdisch und daher meist unbemerkt. So hat zwischen 1997 und 2006 kaum jemand vom Bau eines neuen Sammelkanals unter dem Wienflussbett etwas mitbekommen, obwohl seine Röhe 7,5 Meter im Durchmesser beträgt. Momentan beginnen die Grabungsarbeiten für das größte Bauprojekt in der Geschichte von Wien Kanal: Eine neun Kilometer lange Tunnelröhre mit drei Meter Durchmesser wird unter dem Wienfluss von Margareten bis Hietzing führen und für noch mehr Hochwasser- und Gewässerschutz sorgen.

100-Jahr-Jubiläum
Zu all dem feiert Wien Kanal das 100-Jahr-Jubiläum als städtischer Betrieb. So still und unbemerkt, wie seine Kanäle für die Gesundheit der Menschen in der Stadt sorgen. Sodass Donald Trump und Taylor Swift davon nie etwas erfahren werden, trotz ihrer Millionen an Followern. Welche analogen Kanäle sie wohl nutzen? 

© DRITTE MANN MUSEUM

TIPPS

Dritte Mann Museum
Die Anlaufstelle für Filminteressierte. Gezeigt werden Originalexponate über den 1948 in Wien gedrehten Klassiker „Der dritte Mann“ und Originale aus der Nachkriegszeit.

3. Mann Tour
Hinabsteigen in die Welt des „dritten Mannes“. In sieben Metern Tiefe erfährt man – mit Helm und Stirnlampe ausgerüstet – Spannendes über das Wiener Kanalsystem. Ab in den Wiener Untergrund!

Bild: Dritte Mann Museum

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