Cool muss lesen
complete Magazin 2024
118 Veranstaltungen für Kinder und Jugendliche gibt es auf der Buch Wien, dazu viel Platz für das Genre New Adult: Es wird wieder mehr gelesen. Aber was? Ein Bericht aus der Welt der Bücher.
Die Buchbranche staunt: Die Jugend liest! Literatur und mit ihr Verlage und Buchhandlungen waren in den letzten Jahrzehnten wiederholt für totgeweiht erklärt worden. Mittlerweile hat sich die Lage geändert. Unter dem Hashtag #BookTok tauschen sich auf der Social-Media-Plattform TikTok Millionen junge Menschen über Bücher aus. Weltweit zählt der Hashtag über 36 Millionen Beiträge. Die besprochenen Bücher werden auch gekauft: In Deutschland geht fast jeder fünfte für Bücher ausgegebene Euro bei den 16- bis 29-Jährigen auf Empfehlungen in sozialen Netzwerken und von Influencer:innen zurück. Bei den 16- bis 19-Jährigen ist es sogar mehr als jeder vierte Euro. In Österreich sieht es ähnlich aus.
Selbstfindung und Sachbücher: Was junge Menschen lesen
Besonders beliebt sind Bücher aus den Genres Young Adult und New Adult. Die Bezeichnungen beziehen sich auf das Alter der Lesenden (etwa zwölf bis achtzehn beziehungsweise achtzehn bis dreißig), werden aber oft synonym verwendet. Bei beiden stehen meist Themen wie Liebe, Freundschaft und Selbstfindung im Mittelpunkt. Beliebt sind außerdem Romantasy-Bücher: Der Betriff wurde eigens für die Mischung aus Romance und Fantasy geprägt.
Was im Hype um die aufwendig gestalteten Romantasy- und New-Adult-Bücher gern übersehen wird: Auch Sachbücher stehen bei Jugendlichen hoch im Kurs. Marktstudien aus Deutschland zeigen: Den größten Anstieg gibt es im Non-Fiction-Bereich. 2023 stieg die Zahl der verkauften #BookTok-Titel in diesem Segment um hundert Prozent. Verglichen mit dem Vorjahr.
BookTok kommt in die Buchgeschäfte
Mittlerweile ist der Trend von der virtuellen in die physische Welt geschwappt: Buchhandlungen veranstalten Lesungen und Signierstunden mit erfolgreichen Autor:innen von Young-Adult- und New-Adult-Bücher. Dieses Jahr eröffnete sogar eine Buchhandlung, die sich ganz auf eines der beliebtesten BookTok-Genres fokussiert: Bei „darkreads“ in Wien gibt es nur Dark-Romance-Bücher, also Geschichten, in denen es um gefährliche Liebschaften geht.
Buchmessen widmen den Genres riesige Flächen. Auf der größten Buchmesse der Welt, die jährlich im Oktober in Frankfurt stattfindet, wurde für den Trend eine eigene Halle reserviert. Am Messe-Wochenende wurde sie von Tausenden meist weiblichen Fans gestürmt. Auch auf der Buch Wien hat New Adult mittlerweile eine eigene Ecke: Letztes Jahr war sie ein Renner bei Teenagern und jungen Frauen, dieses Jahr soll sie noch größer werden.
Bücher für die Kleinsten: Kinderbuchtrends
Auch für jüngere Buchliebhaber:innen hat die Buch Wien einiges zu bieten. Insgesamt 118 Veranstaltungen für Kinder und Jugendliche finden heuer auf der Messe statt. Gleich die erste Veranstaltung am Donnerstag (21. 11.) macht zwei Trends sichtbar: Die Österreichische Akademie der Wissenschaften (ÖAW) präsentiert Kindercomics zu den Themen Gebirgsforschung, digitale Netzwerke und Ökologie. Comics und Graphic Novels seien auf dem Vormarsch, erklärt Kinderbuch-Experte Franz Lettner vom Institut für Jugendliteratur in Wien: „Viele Verlage konzentrieren sich auf das Genre, sie investieren in gute Qualität und ins Marketing. Mittlerweile werden Comics breiter rezipiert als noch vor zehn Jahren, sie sind nicht mehr nur in einer ‚nerdigen‘ Nische zu finden.“
Diversität und tolle Bilder
Auch die Themen der Comics, die man sich am Stand der ÖAW abholen kann, spiegeln aktuelle Tendenzen wider. Auffällig ist, wie weit Bücher für Kinder und die Lektüre für Jugendliche und junge Erwachsene thematisch auseinanderliegen. Während es bei New Adult oft um romantische Verklärung gehe, würden in der Kinderliteratur politische und gesellschaftliche Fragen verhandelt, sagt Lettner. „Themen wie Klimawandel und Diversität sind omnipräsent. Dabei wird zum Teil stark pädagogisiert. Kinderbücher sind politisch im Moment sehr aufgeladen.“
Was sie noch sind: schön illustriert. „Auf hochwertige Bebilderung wird viel Wert gelegt“, erklärt Lettner. „Nehmen wir Saša Stanišićs Bilderbuch „Wolf“ als Beispiel, das gerade den deutschen Jugendliteraturpreis im Bereich Kinderbuch gewonnen hat. Eine Geschichte für Kinder ab elf Jahren, die durchgehend illustriert ist – das hat es früher kaum gegeben: Bilderbücher waren für die ganz Kleinen reserviert.“ Eine erfreuliche Entwicklung, findet Lettner. An schönen Büchern kann man sich schließlich in jedem Alter freuen.
Kinderbuch-Schätze zum Lesen und Vorlesen
„Was keiner kapiert“, Michael Hammerschmid. Illustriert von Barbara Hoffmann (Jungbrunnen Verlag)
Ein Kunstwerk, das Jugendliche und Erwachsene gleichermaßen anspricht, ist die Gedichtsammlung „Was keiner kapiert“. Der Autor schafft es, sprachlich herauszufordern, ohne jugendliche Leser:innen zu überfordern, spielerisch zu bleiben, ohne Ernsthaftigkeit einzubüßen. Die Themen der Gedichte sind nicht immer leicht: Es geht etwa um Selbstzweifel, um die Frage, wie man die virtuelle mit der realen Welt verbinden kann, um soziale Ungleichheit und Krieg.
Hammerschmid ist ein Meister seines Faches: Durch sein poetisches, tiefsinniges Schreiben entsteht ein Schatz aus Worten und Emotionen. Barbara Hoffmann ist es gelungen, den Schatz mit Bildern anzureichern und so noch mehr zum Glänzen zu bringen: in tiefem Blau. Das Buch gewann den Kinder- und Jugendbuchpreis 2024 der Stadt Wien.
„Erinnerst du dich“, Sidney Smith (Aladin Verlag)„
„Erinnerst du dich“ ist ein Buch der Geborgenheit. Der mit dem Hans-Christian-Andersen-Preis ausgezeichnete kanadische Autor und Illustrator Sidney Smith braucht nur wenige Worte und Bilder, um die Welt seiner Protagonist:innen für uns zu erschaffen. Im Bett liegend, erinnern sich ein kleiner Junge und seine Mutter an Momente aus ihrem früheren Leben: ein Picknick mit dem Vater, ein Geburtstagsgeschenk, ein Sturm. Dann der Tag, an dem sie ihre alte Heimat verlassen mussten.
Woher sie kommen und warum sie ihre Heimat verlassen mussten, ist nicht klar. Aber wir wissen, dass der Umzug ein Neubeginn ist, der Hoffnung gibt. Auch daraus wird einmal eine Erinnerung, stellt der Bub sich vor. Eines Tages wird er zurückschauen und sagen: „Wir haben uns keine Sorgen gemacht, wir hatten keine Angst. Wir wussten, jetzt wird alles gut.“
„Wie aber führt man Frieden“, Anna Melach (Tyrolia Verlag)
Was ist Frieden? Wie viele Bedeutungen das Wort haben kann, zeigt die Jugendbuchautorin Anna Melach anhand von 17 Persönlichkeiten, die sich für den Frieden einsetzen: jede auf ihre Art. Melach porträtiert Gandhi, den Dalai Lama und Malala Yousafzai, aber auch Menschen, die uns weniger bekannt sind: den Kenianer Wangari Maathai, der die verarmte Bevölkerung unterstützte, indem er Bäume pflanzte, die ihr Überleben sichern. Gleichzeitig leistete er damit einen wichtigen Beitrag zum Umweltschutz. Oder Nadia Murad, eine jesidische Irakerin, die als Sklavin an die IS verkauft wurde und sich nach ihrer Flucht für die Rechte der jesidischen Bevölkerung einsetzte.
Die Sprache ist nicht zu schlicht für Erwachsene, aber auch nicht zu kompliziert für Jugendliche und größere Kinder. Die Geschichten halten die Balance zwischen informativer Sachlichkeit und Emotion. Ein Buch, das Wissen über Länder und Menschen außerhalb des eigenen Dunstkreises vertieft, das zum Tätigwerden motiviert und Hoffnung spendet.
TIPPS
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Die Buch Wien 24 (20.–24. November) ist mit 300 Ausstellern und 421 Veranstaltungen ein Muss für Literaturfans und das größte Buch-Event Österreichs.
Das Bilderbuch „Erinnerst du dich“ des preisgekrönten kanadischen Autors Sidney Smith (Aladin Verlag) ist eine Geschichte über Geborgenheit, Neuanfänge und Hoffnung.
Mit „Wie aber führt man Frieden“ (Tyrolia Verlag) hat Anna Melach ein Buch geschrieben, das Wissen über Länder und Menschen vertieft und zum Tätigwerden motiviert.
Ein Kunstwerk für Jung und Alt ist die Gedichtsammlung „Was keiner kapiert" von Michael Hammerschmid, illustriert von Barbara Hoffmann (Jungbrunnen Verlag).