Zukunftslabor für das Land
complete Magazin 09/23
Kulturhauptstadt Bad Ischl 2024: Das sind 23 Gemeinden in zwei Bundesländern. Es geht um eine Neubewertung des ländlichen Raums jenseits von Overtourism. Das Salzkammergut soll zum Zukunftslabor werden.
Nennt sich „23 für 24“, gilt als Europäische Kulturhauptstadt 2024, ist aber keine Stadt. 23 Salzkammergut-Gemeinden in Oberösterreich und der Steiermark werden (20)24 Kulturhauptstadt Europas mit Bad Ischl als Zentrum sein.
Eine Premiere. Erstmals seit 1985 vergab Brüssel den Titel an einen ländlichen Kulturraum. Das Salzkammergut erwies sich dabei als forderndes Terrain für Kunst und Kultur. In der Konzeptionsphase hatten die Programmverantwortlichen mit Widerstand zu kämpfen. Sogar zu Handgreiflichkeiten in einem örtlichen Wirtshaus soll es gekommen sein. „Kulturhauptstädte tragen Erregungspotenzial in sich“, sagt die Intendantin Elisabeth Schweeger. „Die geforderte Aufarbeitung der Geschichte ist nicht unbedingt jedermanns Sache. Vielfalt und unterschiedliche Meinungen sind eine Stärke und keine Schwäche. Sie sind völkerverständigend.“
Die Zukunft des ländlichen Raums
Wo kann Kunst im Salzkammergut Platz finden? Im Zuge einer Leerstandserhebung wurden Objekte erfasst, die sich dafür eignen. Im ehemaligen Sudhaus von Bad Ischl werden Objekte, Filme, Fotos und Installationen von Kunstschaffenden wie Motoi Yamamoto und Hicham Berrada zu sehen sein. Zwölf stillgelegte Bahnhöfe entlang der eingleisigen Regionalstrecke zwischen Scharnstein im Almtal und Bad Mitterndorf dienen als Impulsorte für künstlerische Begegnungen.
Das Salzkammergut soll zum Zukunftslabor für den ländlichen Raum werden. „Es ist typisch für viele Regionen in Europa, ja der Welt“, sagt die international erfahrene Kulturmanagerin Schweeger. „Nord-Süd-Gefälle, Abwanderung der Jugend, Fachkräftemangel, keine ganzjährigen beruflichen Perspektiven, ungenügende Verkehrsanbindung, Unterfinanzierungen, Leerstände, Bauernhöfe, die um ihre Existenz ringen, Kultur, die keinen Raum hat, um sich zu entwickeln, Tourismus als wichtige Einnahmequelle, die natürliche Ressourcen bedroht.“
Im Programm „Sharing Salzkammergut – die Kunst des Reisens“ denken Kulturschaffende gemeinsam mit Touristiker:innen über die Zukunft des Tourismus nach. Wie kann er sich ohne Overtourism wie in Hallstatt und naturschonend entwickeln, lautet die Frage.
Erinnerungskultur als Zukunftsfaktor
Das Programm „Macht und Tradition“ widmet sich der Erinnerung an jüdisches Leben, an die Sommerfrische, den Salzabbau, aber auch an den Nationalsozialismus. Die Künstlerin Eva Schlegel entlockt mittels Augmented-Reality-Installationen dem mythenumwitterten Toplitzsee dunkle Geheimnisse.
Eine differenzierte Auseinandersetzung mit der Geschichte und eine Erinnerungskultur sind Kernanliegen der Intendantin Schweeger: „Wer mit Klarheit und Ehrlichkeit die Vergangenheit erkennt, wird nicht die gleichen Fehler wiederholen“, sagt sie. „Es geht darum, Ausgrenzung und Diskriminierung zu vermeiden. So kann man eine zivile und demokratische Zukunft gestalten.“
Infos und Programm unter www.salzkammergut-2024.at
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Bild: AR-Skulpturen von Eva Schlegel