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Die geheimnisvolle Kaiserin

complete Magazin 09/23

Vor 125 Jahren wurde die Habsburger Kaiserin Elisabeth ermordet. Sie gilt nach Marie Antoinette als berühmteste Frau der Welt. Dabei sind fast alle modernen Vorstellungen über sie falsch. Katrin Unterreiter, ehemalige Leiterin des Sisi-Museums, erklärt den Mythos Sisi.

Ihr Aussehen war für Sisi zeitlebens von großer Bedeutung: Kleidung, Schmuck und Frisur sollten stets perfekt sitzen
© Franz Xaver Winterhalter
Katrin Unterreiner ist Habsburger-Expertin und ehemalige Leiterin des Sisi Museums
© Katharina Stögmüller
Sisi war eine begeisterte und hervorragende Reiterin. Ihren Pflichten als Kaiserin kam sie mit viel weniger Enthusiasmus nach
© Wien Museum
Ein Leben in Prunk und Luxus war für Kaiserin Elisabeth eine Selbstverständlichkeit
© Schloss Schönbrunn Kultur- und Betriebsges.m.b.H. Severin Wurnig

Sie gilt als Feministin, Romantikerin, magersüchtig und missverstanden. Doch fast nichts davon stimmt. Warum halten sich die Mythen so hartnäckig? Anlässlich des Sisi-Jubiläumsjahres erklärt Katrin Unterreiner, Historikerin und langjährige Leiterin des Sisi-Museums, die Diskrepanz zwischen Wahrheit und Mythos.

Frau Unterreiner, 2023 ist Sisi-Jahr. Am 10. September hat sich der Todestag der Kaiserin zum 125. Mal gejährt. Vor 170 Jahren hat sie sich mit Kaiser Franz Joseph verlobt. Zieht der Mythos Sisi immer noch?

Katrin Unterreiner: Das öffentliche Interesse an ihr ist groß. Ich glaube aber, dass das nicht unbedingt mit den Jubiläen zusammenhängt. Es kommt eher daher, dass sie medial sehr präsent ist: vor allem wegen der vielen Serien und Filme.

Wie ist es für Sie als Sisi-Expertin, solche Verfilmungen zu sehen? Sie haben oft nur wenig mit der historischen Wahrheit zu tun …

Unterreiner: Die volle Wahrheit kennt niemand. Auch wir Historiker:innen können uns nur anhand der vorhandenen Quellen der historischen Person annähern. Ich muss gestehen, ich habe die Serien teilweise gar nicht verfolgt, weil sie überhaupt nichts mit der Geschichte zu tun haben. Sie erheben auch gar nicht den Anspruch, historisch korrekt oder authentisch zu sein: Das sind frei erfundene Unterhaltungsfilme. Das dürfen sie auch sein. Das ist die Freiheit der Kunst. Man muss Sisi als Medienstar und Ikone völlig von der historischen Figur Kaiserin Elisabeth trennen.

Ist die immer noch riesige Sisi-Faszination nur eine Folge der medialen Verzerrung ihrer Figur?

Unterreiner: So ist es. Es ist paradox: Historisch war Kaiserin Elisabeth eine völlig unbedeutende Person. Sie hat sich weder für Politik interessiert, noch war sie gesellschaftspolitisch aktiv, und sie hat auch nicht versucht, irgendetwas zu verändern. Zu ihren Lebzeiten hat sich keiner für sie interessiert. Sie hat sich schon sehr früh aus der Öffentlichkeit zurückgezogen. Zu ihren Lebzeiten gab es kaum mediale Berichterstattung über sie. Das hat erst nach ihrem Tod, eigentlich nach dem Untergang der Monarchie, begonnen. Man hat erkannt, dass man ihre Geschichte romantisieren und somit unparteiisch gestalten kann. Der eigentliche Startschuss für den Kult war die Verfilmung mit der entzückenden jungen Romy Schneider. Sie hat als Sisi international die Herzen der Kinobesucher und der Presse erreicht.

Sisi ist generationenübergreifend gleichbleibend erfolgreich. Warum?

Unterreiner: Das Spannende ist, dass sie als Projektionsfläche dient. Auch für Inhalte, die mit der Kaiserin Elisabeth gar nichts zu tun haben. Es geht da um Themen wie Schönheitskult und weibliche Selbstbestimmung, die nach wie vor sehr aktuell sind. Im Nachhinein kann man viel in Sisi hineininterpretieren – in ihrer Ambivalenz ist sie eine dankbare Person. Sie hat schon zu Lebzeiten an ihrem Mythos gearbeitet, indem sie sich zurückgezogen hat.

Kaiserin Elisabeth hat sich nicht für Frauenrechte interessiert?

Unterreiner: Eines steht fest: Elisabeth war keine Feministin. Sie hat weder für Frauenrechte gekämpft noch für Gleichberechtigung. Sie hat ein egozentrisches, ja egomanisches Leben geführt und sich geweigert, die Rolle der Kaiserin zu spielen. Das heißt aber nicht, dass sie das auch anderen Frauen zugestanden hätte. Hier sieht man eine interessante Diskrepanz: Elisabeth hat Selbstbestimmung für sich in Anspruch genommen, fand aber gleichzeitig, dass Frauen sich nicht in Politik einmischen sollen. Solche Ambivalenzen bieten für die Nachwelt viel Interpretationsspielraum. Heute wird die Geschichte von Elisabeth als selbstbestimmter Frau erzählt, die gegen die Konventionen kämpft: Das Thema findet viel Resonanz, schließlich ist es für unglaublich viele Frauen auf der ganzen Welt relevant.

Dasselbe gilt auch für Themen wie Körperkult und Schlankheitswahn, die für den Sisi-Mythos eine große Rolle spielen …

Unterreiner: Das ist der zweite Aspekt an Sisi, der viele Menschen interessiert. Gerade heute, wo das Thema Essstörungen so präsent ist. Dass sie magersüchtig war, ist aber historisch einfach nicht belegbar: Elisabeth hat sehr viel Sport gemacht und war immer schlank. Aber sie hat nicht wenig gegessen, eher im Gegenteil.

Sie „kennen“ Sisi besser als die meisten Menschen. Was für ein Mensch war sie aus Ihrer Sicht?

Unterreiner: Sie erstaunt mich immer wieder. Mitunter bin ich auch schwer irritiert, muss ich zugeben. Bis zu einem gewissen Grad ist ihre Kunst, sich als mehr oder weniger dauerhaft leidend zu inszenieren, aber auch faszinierend. Sie war nämlich überhaupt nicht kränklich. Sie konnte einfach tun und lassen, was sie wollte. Franz Josef hat alles anstandslos bezahlt. Mir bleibt manchmal die Spucke weg, wenn ich mir anschaue, was diese Frau pro Jahr ausgegeben hat für ihr „zurückgezogenes“ Leben. Es war zwar kein Leben in der Öffentlichkeit, aber es war weder einsam noch unglücklich. Ihre erfundene Krankheit war eine clevere Exitstrategie. So konnte diese schwerreiche Frau ein von ihrem Mann finanziertes Luxusleben führen. Umgerechnet hat sie fast jährlich zweistellige Millionenbeträge ausgegeben für einen modernen, luxuriösen und exaltierten Lebensstil. Dass andere den Preis dafür bezahlt haben, war ihr ziemlich gleichgültig.

Für ihr neues Buch, „Sisi – das geheime Leben der Kaiserin“, haben Sie bisher unbekannte Quellen gesichtet und einige noch unbekannte Aspekte über Sisis Privatleben zutage gefördert. Was hat Sie besonders fasziniert?

Unterreiner: Abgesehen von dem immensen Aufwand und den Kosten für ihre vielen Reisen fand ich die Frage nach ihrem persönlichen Umfeld spannend: Wer waren ihre Vertrauten? Zum Beispiel ihre Vorleserin Ida Ferenczy, eine echte Freundin. Ein Großteil von Sisis Briefen wurde auf ihren eigenen Wunsch hin nach ihrem Tod vernichtet. Doch die paar, die erhalten geblieben sind, zeigen, wie eng die beiden verbunden waren. Berührt hat mich auch Elisabeths Verhältnis mit einer ihrer Enkeltöchter. Man kannte bisher nur Aussprüche der Kaiserin, denen zufolge sie mit Kindern überhaupt nichts anfangen konnte. Aber mit Ella, der Tochter ihrer Tochter Marie Valerie, hatte die Kaiserin ein inniges Verhältnis. Sisi war die Taufpatin dieser Enkelin, die ihr sehr am Herzen lag. Mir wurden die Korrespondenzen zwischen den beiden zur Verfügung gestellt. Es hat mich berührt, darin zu lesen, dass Elisabeth auch herzliche, liebevolle Züge hatte.

Ist es Ihnen ein Anliegen, das öffentliche Bild von Sisi mehr mit der historischen Realität in Einklang zu bringen?

Unterreiner: Ich sehe es als meinen Beitrag, die Diskrepanz zwischen der Ikone und der historischen Person Sisi aufzuzeigen. Wer sich dafür interessiert, soll die Möglichkeit bekommen, hinter die Kulissen zu schauen und die historische Person Elisabeth mit all ihren Ecken und Kanten kennenzulernen.

© Ueberreuter

BUCHTIPP:

Sisi – das geheime Leben der Kaiserin

von Katrin Unterreiner, Verlag Ueberreuter, 200 Seiten, Euro 25

Sisi hautnah erleben: Das kann man im Sisi Museum in der Wiener Hofburg. Anhand vieler persönlicher Gegenstände und von der Kaiserin persönlich verfasster Gedichte wird ihre Geschichte erzählt.

BIld: Katrin Unterreiner gibt völlig neue Einblicke in das Leben von Kaiserin Sisi

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