Das Wattenmeer hautnah
complete Magazin 09/22
Das „Zauberland“ nennen ihre Menschen die Insel Juist im Wattenmeer. Sie soll auch im Klimawandel bestehen und Gästen Erholung bieten können.
„Töwerland“ nennen sie Einheimische. 17 Kilometer lang und bei Flut oft nur 800 Meter breit. 1.571 Menschen leben hier. „Juist“ heißt die ostfriesische Insel, für ihre Bewohner ist sie ein „Zauberland“. Schier endlose Dünen und Sandstrand mitten im Weltnaturerbe Wattenmeer. Ihr Zauber bezieht sich auch auf die Zukunft.
„Bis 2030 wollen wir klimaneutral sein“, sagt Thomas Vodde, der als Nachhaltigkeitsbeauftragter auf der Insel im Einsatz ist. Seit 25 Jahren lebt er hier, seine Kinder gehen auf die Inselschule. „Emissionsfreier Verkehr, Solar-, Windkraft, Geothermie, Abfallmanagement, aber auch die Bebauung und der Erhalt des sozialen Lebens sind uns wichtig.“ 2015 bekam die Insel für ihr Umweltkonzept den Deutschen Nachhaltigkeitspreis.
Juist ist im Wandel. In vielerlei Hinsicht. Sturmfluten haben ihre Gestalt immer wieder neu geformt. „Für uns“, sagt Vodde, „ist der Klimawandel mehr als anderswo unmittelbar zu spüren.“ Der Meeresspiegel steigt, Dünen drohen durchzubrechen, die Inselsubstanz gerät in Gefahr. „Nachhaltiges Denken ist für uns hier lebenswichtig.“
Möwengeschrei über dem Geklapper von Pferdehufen, draußen Wellenrauschen und am Strand Kinderlachen: So klingt der Soundtrack von Juist. Ruhe ist hier das wichtigste Gut – unterwegs am Fahrrad oder zu Fuß. „Die Wege sind ja nie weit.“ Thomas Vodde spottet wie viele Einheimische liebevoll über die Dimensionen der Insel. Die Kutsche ersetzt das Auto. Müllabfuhr, Lieferdienst, Taxi, sie alle kommen mit zwei PS. Pferde gehören zur Inseltradition. Schon im 16. Jahrhundert wurden hier Pferde gezüchtet, später gab es eine Pferdebahn. Heute erledigen rund fünfzig Gespanne mit rund hundert Pferden alle Transporte.
Seit 74 Jahren blickt Heino Behring auf das Wattenmeer. Er ist auf Juist geboren, als Zwölfjähriger zeigte er erstmals Gästen seine Insel. Mit inseltypischem Humor erklärt er: „Wir stehen hier in der größten biologischen Kläranlage der nördlichen Hemisphäre.“ Wie die aussieht? Bei seinen legendären Wattwanderungen kann man es erleben. Man fängt Wattwürmer, Krebse und Muscheln und erlebt, wie sie Wasser und Sand reinigen. „Diese Regenerationsfläche und ihre Bewohner, sie sind unschätzbar wertvoll."
Seit 2009 steht das Wattenmeer als UNESCO-Weltnaturerbe unter Schutz. Rund zehn Millionen Wat- und Wasservögel rasten, mausern oder überwintern hier. Heino Behring blickt besorgt auf seine „Kläranlage“: „Vor fünfzig Jahren gab es noch doppelt so viele Muscheln und Würmer im Watt. Wir haben nur diese Insel und alle zusammen nur diese Erde. Wir müssen so leben, dass es sich für alle ausgeht.“
TIPPS
www.juist.de
Anfahrt
Einmal täglich Töwerlandexpress und Inselexpress von Norddeich (per Zug perfekt erreichbar). Gezeiten bestimmen die Abfahrtszeiten, nur bei Flut ist eine Überfahrt möglich. Die Fahrt führt an den berühmten Seehundsbänken vorbei. www.inselfaehre.de/juist
Kulinarik
„Danzer’s“ im Vier-Sterne-Superior-Hotel Achterdiek für Gourmets. Chefkoch und Hotelchef Stefan Danzer folgt den Grundsätzen der Slow-Food-Bewegung, er bezieht von über hundert regionalen Produzent:innen saisonale Lebensmittel. Romantik Hotel Achterdiek/DANZER’s Restaurant, Wilhelmstraße 36, 26571 Juist, T 0049 35 80 40, info@hotel-achterdiek.de, www.hotel-achterdiek.de
Hotel
Biohotel AnNatur. Die Naturkosmetikerin, Masseurin, Klangschalen-Therapeutin und Yogalehrerin Kathrin hat gemeinsam mit ihrem Mann Dirk Zimmer, Studios und Appartements baubiologisch mit Naturholz, Kork und Bio-Wolle eingerichtet. Haus AnNatur, Dellertstraße 13 + 14, 26571 Juist, Tel. +49/(0)359 18 10, info@annatur.de, https://annatur.de
Wattwanderungen
Mit Heino Behring, www.heino-juist.de
Bild: Stefan Danzer kocht im Hotel Achterdiek