Wo die Kruzitürken hausten
complete Magazin 03/23
Die Bucklige Welt ist nah bei Wien und ideal, um mit der Jugend in Gestalt meines Neffen ein Wochenende zu verbringen
„Wach auf, Onkel, wir sind da!“ Wer – was? Vor mir steht mein Neffe, den Rucksack auf den Schultern. Vor dem Fenster ein Bahnhof: Bad Erlach. Wir sind da. Ich packe meinen Rucksack und wanke aus dem Zug durch den Bahnhof – da steht eine alte Dampflok. Mit der aber soll es nicht weitergehen, wäre auch unmöglich, sondern mit dem Bus nach Katzelsdorf. Dort will mein Neffe in die Zinnfigurenwelt, ein Freund hat ihm dazu geraten.
Zinnfiguren, ausgerechnet. Natürlich ist es dann großartig, gewaltige Dioramen mit Schlachten um Wien und Belgrad, die Gegner immer osmanische Truppen. Und ich erzähle dem Neffen vom Tisch des Wesirs Kara Mustafa, den mir der Fürst von Starhemberg in seinem Schloss in Eferding gezeigt hat, stolze Beute eines seiner Vorfahren vom Kampf um Wien. Den Neffen interessieren aber die Tschaiken im Diorama von Belgrad mehr, spezielle Donauschiffe der Osmanen, später auch von den k. u. k. Streitkräften genutzt. Eine gibt es heute noch auf der Donau bei Orth, allerdings zu zivilen Zwecken wie Biberbeobachtung.
Nun fällt es uns, also mir auch, schwer, die Kämpfer in Katzelsdorf sich selbst zu überlassen, aber wir wollen uns heute auch noch das Wehrkirchenmuseum der Buckligen Welt ansehen, und dazu müssen wir nach Edlitz, vorbei an Burg Grimmenstein. Einst Ruine, nun wieder mehr und mehr instand gesetzt von Markus Albero Grimmenstein, liegt sie für uns zu hoch. Wir halten uns an das, was die Bucklige Welt in Europa einzigartig macht, ihre Wehrkirchenlandschaft. Außer in Frankreich und Siebenbürgen gibt es nirgends so viele dieser Wehrkirchen, trutzig und Erbe großer Armut im Barock, denn damals konnte man sich ihre Barockisierung nicht leisten.
So staunen wir heute über ihre mittelalterlichen Formen. Neben der Edlitzer Wehrkirche liegt das Museum. Es verrät uns, dass die Wehrkirchen einst als Schutzräume der Bevölkerung vor den Einfällen der Osmanen oder aus Ungarn dienten. Die Beschreibung der „Renner und Brenner“, wie man dazumal die Osmanen nannte, als „Horden“ ist heute womöglich nicht mehr political correct, zeugt aber von einem Schrecken, der bis in die Gegenwart nachhallt. Um 1700 gab es einen Aufstand der Ungarn gegen die Habsburger. Die Aufständischen wurden „Kuruzzen“ genannt, oder hier im Wehrkirchenmuseum „Kuruzzenhorden“. In Wien hießen sie „Kruzitürken“. Gegen sie warf man den Linienwall auf, heute der Gürtel, auf dem „Kruzitürken!“ zum Fluch von Autofahrern im Stau geworden ist.
Es gäbe noch eine ganze Wehrkirchenstraße in der Buckligen Welt abzufahren, aber für heute reicht es, wir lassen uns zum Gut Guntrams kutschieren, um in einem der drei Gartenlofts die Nacht zu verbringen. Davor springen wir kurz in den Badeteich, dann machen wir uns über die Honesty Bar und ihre Köstlichkeiten her. „Gute Nacht, Onkel“, murmelt der Neffe noch – worauf er sich verlassen kann.
In der Früh lachen Obstbäume und das Glitzern des Teichs durch die großen Fenster des Lofts herein. Nach dem Frühstück sehen wir uns den Kristallgarten an, der von einem fünf Meter hohen Amethyst beherrscht wird. Rundherum liegen versteinerte Baumstämme und edle Steine wie Citrine, Turmaline, Jaspis oder auch eine Rosenquarzkugel. „Was ist der Pauliberg?“, fragt der Neffe vor den Basaltblöcken am Eingang des Kristallgartens. Schon gut, wenn man so einen alten Onkel wie mich dabeihat. Der erzählt gleich vom zwar längst erloschenen, aber immer noch eindrucksvollen Vulkan auf der burgenländischen Seite der Buckligen Welt, von dem der Basalt hier stammt. Doch zu weit weg, ein anderes Mal …
Am Plan für den Tag steht zunächst das Bauernmuseum in Lanzenkirchen. Mein Favorit dort ist der „Troadkasten“, 300 Jahre alt und mit Stroh gedeckt, ein grandioser Baustoff, der endlich wiederentdeckt wird. Die rund 6.000 Exponate hier, meistenteils Gerät des alltäglichen bäuerlichen Lebens, bezeugen, dass man auch nachhaltige Geräte herstellen kann, Obsoleszenz war dazumal noch kein Thema.
In Walpersbach führt uns Peter Michalek stolz seine große Modelleisenbahn vor. Eine Miniaturvariante hatte ich als Kind, der Neffe hingegen eine Playstation, jeder nach seinem Geschmack, die Bahn hier taugt ihm aber auch sehr.
Zu guter Letzt beschließen wir den Tag im Keltendorf Schwarzenbach. Auf der Terrasse des Freilichtmuseums genießen wir Kuchen und Tee und beschauen die ehedem größte städtische Ansiedlung der Kelten im Ostalpenraum. Nicht dass davon etwas übrig wäre, die Häuser sind alle neu, aber im Keltenstil errichtet. Leider ist heute nicht Sommersonnwende, sonst hätte wir als Kelten ausstaffiert („Ich wäre Römer“, erklärt der Neffe), also gut, als Kelte und Römer ausstaffiert am Keltenfest teilnehmen können. Honigbier, gegrilltes Schweinefleisch – na gut, muss nicht sein, aber den Tanz zu den Feuerstäben und einen abgefackelten Scheiterhaufen am Abend hätten wir gern erlebt. So aber fahren wir mit dem Bus nach Gut Guntrams zurück und schauen in den feuerroten Sonnenuntergang.
Schön, die Bucklige Welt, so nah bei Wien und bietet noch viel, was wir nicht gesehen haben. Zum Beispiel die Ritterkämpfe beim Mittelalterfest auf Burg Kirchschlag. Aber wir kommen einfach wieder. In der Bahn schlafe ich ja immer fein.
TIPPS
Gut Guntrams
In schicken Garten-Lofts wohnen, durch blühende Obstwiesen flanieren, im Restaurant Veranda gut essen, sich im Kristallgarten verzaubern lassen und die Zehen in den Naturbadeteich strecken.
Guntrams 11, 2625 Schwarzau/Steinfeld
guntrams11.at
Die Zinnfigurenwelt
Wehrkirchendokumentation Edlitz und Wehrkirchenstraße
www.buckligewelt.info/wehrkirchenstrasse
Bauernmuseum Lanzenkirchen
Freitag von 14–18, Samstag und Sonntag von 8–18 Uhr
www.bauernmuseum-lanzenkirchen.at
Bild: Der rund 300 Jahre alte Troadkasten im Bauernmuseum Lanzenkirchen
Modelleisenbahn Walpersbach
Herr Peter Michalek
Tel. 0664/211 09 09
Keltendorf Schwarzenbach
www.keltendorf-schwarzenbach.at
Mittelalterfest Kirchschlag
Am 22.–23. Juli geht man rund um die Burgruine Kirchschlag mit Gauklern, Live-Musik, Ritterkämpfen, Kinderprogramm und Kunsthandwerk auf eine Zeitreise ins Mittelalter.
www.kirchschlag-bw.gv.at