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Schuld sind die Sterne

complete Magazin 01/23

Neujahr ist die Hochzeit für Astrologie und Jahreshoroskope. Was uns die Sterne über unsere Zukunft erzählen, erklärt der Astronom, Podcaster und Science Buster Florian Freistetter.

Der Blick in die Sterne ist immer ein Blick in die Vergangenheit. Denn viele Lichter, die wir nachts sehen, sind längst erloschen
© Unsplash/Greg Rakozy
Der Astronom Florian Freistetter klärt in seinen Podcasts und als Autor und Teil des Wissenschaftskabaretts „Science Busters“ über Astrologie und Horoskope auf
© Franzi Schädel
Die Sterne verraten uns vieles über die Entstehung von Planeten und den Klimawandel
© Shutterstock/Triff/NASA
Die mittelalterliche Turmuhr Torre dell’Orologio auf dem Markusplatz in Venedig zeugt noch heute von Astrologie
© Unsplash/Josh Rangel

US-Präsident Ronald Reagan, Frankreichs Präsident François Mitterrand, Spaniens König Juan Carlos und Österreichs EU-Ministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) – sie alle nahmen oder nehmen die Dienste eines:einer Astrolog:in in Anspruch. Auch die Astrologin Gerda Rogers erklärt im ORF den Österreicher:innen regelmäßig, wie es um ihre Zukunft steht. Für 2023 sah sie jüngst große Veränderungen und einen wirtschaftlichen Aufschwung voraus. Nach drei Krisenjahren eine beruhigende Nachricht. Nicht so für Florian Freistetter, den Autor des bekanntesten Wissenschaftsblogs im deutschsprachigen Raum, „Astrodicticum Simplex“, und Teil des Wissenschaftskabaretts „Science Busters“.

Herr Freistetter, was sagen die Sterne für 2023 voraus?

Florian Freistetter: Das Gleiche wie in allen Jahren zuvor: Nichts. Sterne sagen lediglich etwas über die Vergangenheit, denn von dort kommt ihr Licht.

Kann uns das Sonnensystem denn gar nichts über Gegenwart und Zukunft verraten?

Freistetter: Doch, wir können wahnsinnig viel aus ihm lesen. Etwa, wie Planeten entstanden sind. Oder wie Klimawandel abläuft. Das kann man an der Venus nachvollziehen. Wir können anhand der Sterne jedoch nichts über unsere persönliche Zukunft lernen. Die Voraussagen, die Astrolog:innen in Horoskopen tätigen, schafft jede Person mit gesundem Menschenverstand. Dass immer wieder schwere Zeiten, Kriege und Krisen kommen, ist eine Tatsache. Das zu prophezeien ist keine Kunst, sondern lediglich eine logische Schlussfolgerung.

Himmelskörper haben also keinen Einfluss auf unseren Alltag – zumindest nicht, solange es zu keinen Kollisionen oder Ähnlichem kommt?

Freistetter: Natürlich haben sie Einfluss auf unseren Alltag – aber eben nicht so, wie die Astrologie es uns glauben machen will. Mit dem Einfluss von Sonne und Mond setzt sich beispielsweise eine ganze Wissenschaft auseinander. Sie heißt Meteorologie. Aber es ist definitiv nichts so, wie die Astrologie behauptet, denn Himmelskörper haben keinen relevanten Einfluss auf den persönlichen Alltag. Es ist schon erstaunlich, dass Menschen glauben, dass Gas- und Gesteinskugeln etwas über die eigene Zukunft, über Beziehungen, Gesundheit und sonstige individuelle Realitäten verraten können.

Im Vorjahr erschien zum 15-Jahr-Jubiläum der Science Busters das Buch „Wissenschaft ist das, was auch dann gilt, wenn man nicht dran glaubt“. Ist Astrologie eine reine Glaubensfrage? Was unterscheidet Astronomie und Astrologie voneinander?

Freistetter: Ganz einfach: Das eine ist eine Naturwissenschaft, das andere Aberglaube. Die Astronomie untersucht und misst Himmelskörper und orientiert sich mit ihren Aussagen immer an der Realität. Sie hat in der Wissenschaft stets das letzte Wort. Die Astrologie hingegen ist ein veraltetes Erkenntnissystem, das uns vor Tausenden von Jahren dabei geholfen hat, uns die Welt zu erklären. Damals hat das auch durchaus Sinn gemacht, denn wir haben ja den Einfluss der Himmelskörper auf die Erde gesehen. Stichwort Gezeiten. Doch das Erklärsystem Astrologie hat nicht funktioniert und ist obendrein auf dem einstigen Niveau stehen geblieben. Der Himmel der Astrologie ist nicht der tatsächliche Himmel. Der astrologische Himmel ist ein paar Tausend Jahre alt. Von dieser einstigen Wissenschaft der Himmelsbeobachtung sind lediglich die Weissagungen übrig geblieben. Die heutige Astrologie ist definitiv und zu hundert Prozent keine moderne Wissenschaft.

Gerade in Krisenzeiten hat astrologische Lebensberatung besonderen Zulauf. Was halten Sie vom astrologischen Trostspender?

Freistetter: Der Wunsch ist verständlich und nachvollziehbar, denn Weltkrisen und persönliche Krisen sind natürlich immer blöd. Man fragt sich, warum man von Unglück, Verlusten, von Krankheiten und Kriegen betroffen ist. Dabei ist die Antwort ganz banal: so etwas passiert einfach. Wir wollen aber einen Sinn dahinter sehen, schließlich ist die Tatsache, dass solche Dinge einfach so passieren, unbefriedigend. Da sind die Erklärungen, die die Astrologie liefert, schon einfacher zu schlucken. Schuld sind dann die Sterne, nie man selbst. So kann man Verantwortung abgeben und sich Sicherheit holen. Die Astrologie reduziert die Komplexität der Realität, und in einer solchen vereinfachten Welt findet man sich natürlich auch leichter zurecht.

Das klingt doch eigentlich ganz angenehm …

Freistetter: Mag sein, aber der Einfluss der Astrologie kann auch negative Folgen haben. Etwa wenn Entscheidungen im Job, in der Beziehung oder Investmententscheidungen aufgrund von Horoskopvorhersagen getroffen werden. Man lernt und gewöhnt sich daran, an eine Welt zu glauben, die nicht existiert. Das ist höchst irrational. Zwar sind wir alle irrational, das ist menschlich, aber dieser Aberglaube kann gefährlich werden. Denken Sie etwa an medizinische Entscheidungen. Wenn Operationstermine verschoben werden, weil die Sterne angeblich sagen, der Termin würde nicht passen. Werden Entscheidungen aufgrund solch irrationaler Motive getroffen, steigt die Chance, dass die Sache schlecht ausgeht. Außerdem hat man ja während der Pandemie gesehen, dass Aberglaube auch offen macht für Verschwörungstheorien.

 

© Ingo Pertramer/Buero Alba

TIPPS

Mehr über Astronomie, das Universum und die Arbeit der Wissenschaft erfahren Sie in den Podcasts von Florian Freistetter: www.florian-freistetter.at

Unterhaltsames wie Informatives aus dem Bereich der Naturwissenschaften liefert die Wissenschaftskabaretttruppe Science Busters, der auch Florian Freistetter seit 2015 angehört: sciencebusters.at

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