Schuhmacher der Schnellen
Complete Magazin 2/21
Francesco Liberto hat mit seinen perfekten Rennfahrschuhen die Welt des Motorsports verändertIn falscher Bescheidenheitx muss sich Francesco Liberto, genannt Ciccio, nicht üben. Er ist zu Recht stolz. Zunächst einmal, weil er Sizilianer ist. Und falls das noch nicht reichen würde, auch deswegen, weil er etwas Besonderes erfunden hat. Ciccio hat dem Motorsport ein wichtiges Puzzlestück hinzugefügt, sein Beitrag hat Rennfahren sicherer und besser gemacht. Seine Erfindung ist der perfekte Schuh zum Autofahren. Nicht so wichtig? Wer das denkt, ist noch nie korrekt besohlt gefahren. Und schnell wohl auch nicht.
Ciccios kleines Geschäftslokal an der Uferpromenade des Städtchens Cefalu an der Nordküste Siziliens ist voll von Pokalen, Urkunden und Devotionalien – sie gelten alle ihm, dem Schuhmacher der Schnellen. Haben Sie Ihrem Schuster jemals ein Dankschreiben geschickt? Das sollten Sie tun – es zeugt von Respekt, hat Stil und macht ihm Freude. Selbst Sebastian Vettel hat das getan. „Für Herrn Ciccio – danke für die Schuhe.“ Für seine Wortgewandtheit ist er zu Recht nicht Weltmeister geworden.
Mit sechs Jahren betritt Ciccio zum ersten Mal den kleinen Schuhmacherladen im ältesten Teil der Stadt und sieht zu, wie aus dem Rohmaterial für Sohlen- und Oberleder ein Schuh entsteht. Der Eigentümer ist ein entfernter Verwandter, in der vereinfachten sizilianischen Familienhierarchie somit ein Onkel. Er wird später Ciccios Lehrmeister – sein Bild ziert bis heute die Werkstätte, als würde er immer noch misstrauisch darauf achten, was sein ehemaliger Schüler dort treibt. Mit siebzehneinhalb ist der voll ausgebildet, und wie jeder gute Sizilianer besucht er natürlich jedes Jahr die Targa Florio.
In den 1960ern entwickelt sich das wahnwitzige Straßenrennen vom regionalen Spektakel zum professionellen Kräftemessen. Die Starterlisten füllen sich mit den Namen der berühmtesten Schnellen dieser Zeit. Im damals traditionell offenen Fahrerlager fällt Ciccio das Schuhwerk der Piloten auf. Wohl eine Berufskrankheit – so wie Zahnärzte immer die Gebisse ihrer Mitmenschen beäugen oder Friseure notorisch auf Haarschnitte achten.
„Es war erschreckend“, lacht Ciccio heute. „Die Herrenfahrer trugen schwere Nagelschuhe mit breiten Rahmen. Andere kamen mit dem, was man damals unter Turnschuhen verstand. Einigen war offenbar die Bequemlichkeit am wichtigsten – sie hatten tatsächlich Sandalen an den Füßen. Undenkbar, damit bringt man sich höchstens schnell um. Ich befürchte, dass manche sogar bloßfüßig fuhren.“
Das läßt Ciccio keine Ruhe. Er grübelt über einen Schuh nach, der perfekt zum Autofahren geeignet ist. Leicht und bequem muss er sein, dazu elastisch, darf keinen Rahmen haben, an dem man in der Pedalerie verkannten könnte. Dafür braucht er eine Auflage für die Ferse und muss das Knöchelgelenk stärken. Nach einigen Versuchen ist Ciccio so weit – seine Idee vom idealen Rennfahrerschuh hat Gestalt angenommen. Nun muss noch ein Versuchspilot her.
1965, bei der nächsten Targa Florio, findet sich der in Alfa Romeos Chef-Aufgeiger Iganzio Giunti. Als der von der 70-Kilometer-Runde, der piccolo madonie, zurückkommt, hat er seine persönliche Bestzeit gehörig unterboten und ist begeistert: Ciccios Schuhe sind anatomisch perfekt, stützen den Fuß und sind so fein gearbeitet, dass der Fahrer über das Gaspedal das Auto fühlen kann. So treten sie von Sizilien aus ihren Siegeszug an. An den Füßen von Niki Lauda fährt 1975 so auch ein sizilianischer Schuhmacher seinen ersten WM-Titel heim – und seitdem noch viele weitere.
Erst später ziehen Motorsportausrüster und Sportartikelhersteller mit eigenen Rennpatschen nach. Aber ein echter Ciccio bleibt ein echter Ciccio – der erste Schuh für schnelle Sohlen, bis heute unverändert, weil nicht zu verbessern. Mittlerweile bereift die Bestenliste des Automobilsports ihre Füße seit Jahrzehnten mit den Schuhen aus Cefalu. Und dazu viele Menschen, die nicht so schnell unterwegs sind, aber einfach das perfekte Fußgefühl im Auto schätzen. Jeder kann bei Ciccio vorstellig werden, man braucht dafür keine Rennlizenz. Eine Reise nach Sizilien ist aber einzuplanen – denn der Meister nimmt ausschließlich persönlich Maß.